stefan kuzmany über Alltag
: Ausschlafen verschlafen?

Immer mehr Mitmenschen kapieren nicht mehr, was eigentlich wirklich angesagt ist. Zeit, Klartext zu reden

Gestern, Sie wissen das ja sicherlich, war ein sehr wichtiger Tag. Ich habe mich natürlich gut vorbereitet. Die Nacht von vorgestern auf gestern habe ich kein Auge zu getan. Man will ja schließlich auch nicht satt zu einem opulenten Bankett erscheinen. Die Vorfreude muss möglichst gesteigert werden. Ich war also so richtig schön müde. Und dann begann er, der internationale Tag des Schlafs.

Leider wussten das die Bauarbeiter nebenan nicht. Die wussten nicht einmal, dass sie eigentlich streiken sollten. Es war an Schlaf nicht zu denken. Gegen elf Uhr vormittags rief mein Bruder an. Er war am Abend vorher im Biergarten gewesen, hatte sich hervorragend amüsiert mit zwei Freunden und drei Maß Bier und dabei überhaupt nicht bemerkt, dass gleichzeitig in demselben Biergarten Gerhard Schröder eine Rede halten wollte und dabei von Mitgliedern der Jungen Union ausgepfiffen worden ist. Obwohl meine Humorfähigkeit aufgrund der überhand nehmenden Müdigkeit deutlich eingeschränkt war, musste ich doch sehr lachen. Der läuft durchs Leben, ohne zu bemerken, was um ihn herum vorgeht.

Draußen auf dem Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg wurde gerade der wöchentliche Biomarkt aufgebaut, und ich holte mir ein wenig Frühstück, obwohl ich eigentlich nicht hungrig war. Zu müde zum Essen. Die Brotverkäuferin wünschte mir viel Spaß beim Fußball, was ich nicht ganz verstand, denn ich kenne sie nicht und spiele auch nicht Fußball. Trotzdem bedankte ich mich artig.

Im Innenhof meines Wohnhauses sah ich die lärmenden Bauarbeiter. Sie machten gerade eine kleine Pause. Ich beschloss, sie ein wenig zu agitieren, auf dass sie sich solidarisch erklärten mit ihren Kollegen und im Kampf für eine gerechtere Bezahlung ihre Arbeit erst mal und bis auf weiteres niederlegten. „Hört zu, Männer“, sagte ich, „ihr müsst erst mal den Zusammenhang zwischen Ware und Arbeit verstehen.“ Verständnislose Gesichter. „Ihr schafft den Mehrwert, den der Kapitalist einstreicht“, sagte ich. Keine Reaktion. „Ihr müsst euch eurer Ausbeutung bewusst werden!“, rief ich, aber sie wollten sich offenbar überhaupt nichts bewusst machen. Vielleicht lag es ja an meiner durch die Müdigkeit bedingten schleppenden Aussprache. Oder daran, dass die Jungs kein Wort Deutsch verstanden.

Vier Stockwerke sind ganz schön hoch, vor allem, wenn es so verdammt schwül ist im Treppenhaus. Endlich oben. Ich wollte den Rest der Bauarbeiterpause nutzen, um endlich einzuschlafen am internationalen Tag des Schlafs, bevor sie ihre Bohrmaschinen wieder angeworfen hatten. Schliefe ich erst einmal, nichts könnte mich mehr aufwecken. Da klingelte wieder das Telefon. Ich wollte nicht hingehen. Es klingelte weiter. Ich ging hin. Der Anrufer hatte bereits aufgelegt. Da bemerkte ich, dass ich meine Einkäufe im Hof liegen gelassen hatte. Also wieder runter.

Unten, vor den Briefkästen, stand ein junger Mann in einem Trainingsanzug mit einem langen Schraubenzieher und machte sich an einem der Briefkästen zu schaffen. An meinem Briefkasten. Ich sah ihm ein wenig zu. Er bemerkte mich, zuckte, ohne sich bei der Arbeit stören zu lassen, mit den Schultern und sagte, Verständnis voraussetzend: „Mist, kein Schlüssel.“ – „Ja, ich weiß“, sagte ich. „Was willst du denn mit meiner Post?“ Er rempelte mich ans Geländer und rannte durch die Eingangstür davon. Ich hinterher, die Waldemarstraße hinunter. Dann bog er um eine Ecke und war verschwunden. Was soll’s, er hatte mir ja nichts gestohlen.

Wieder zurück. Wieder hinauf. Wieder festgestellt, dass meine Einkäufe immer noch bei den revolutionsmüden Bauarbeitern lagen. Wieder runter.

Als ich unten ankam, tranken sie gerade meinen garantiert ökologisch hergestellten Apfelsaft aus. „Mann, du bist doch für Kommunismus, haben wir gedacht“, sagte einer in fließendem Hochdeutsch, und alle lachten. Erbost raffte ich die Reste zusammen und machte mich wieder auf den Weg ins Bett.

Kaum lag ich, war die Mittagspause beendet. Wild röhrten die Maschinen. Den Takt gab ein riesiger Vorschlaghammer an, den der Apfelsaftdieb auf eine große Blechplatte hieb, immer wieder, dazu fluchte er laut.

Trotzdem verlor ich irgendwann das Bewusstsein. Ich musste etwa zwei bis drei Stunden geschlafen haben. Ich erwachte schweißgebadet mit dem komischen Gefühl, irgendetwas Wesentliches vergessen zu haben. Wie immer in solchen Fällen, rief ich meinen Bruder an: „Sag mal, wann spielt eigentlich Deutschland gegen die USA?“

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