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Zwiespältige Gefühle bei der Loja Dschirga

Afghanische Frauen bewerten die Große Ratsversammlung: Fortschritte einerseits, aber Stärkung der alten Warlords

BERLIN taz ■ Hat die jetzt beendete Loja Dschirga die afghanischen Frauen gestärkt oder geschwächt? In einem Seminar der „Europäischen Bewegung“, am Donnerstag abgehalten in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, waren die Einschätzungen höchst unterschiedlich. Annett Günther, Mitarbeiterin im „Sonderstab Afghanistan“ im Auswärtigen Amt, schwärmte in den höchsten Tönen: Von den etwa 180 in der Großen Ratsversammlung vertretenen Frauen seien 40 direkt gewählt worden, so etwas sei für Afghanistan bisher „unvorstellbar“ gewesen. Buchautorin Siba Shakib („Nach Afghanistan kam Gott nur noch zum Weinen“) meinte ebenfalls, in Kabul sei „sensationell“ viel passiert.

Nichts habe sich geändert, meinte hingegen „Shahla“ von der Frauenorganisation Rawa. Dieselben Kriegsverbrecher der Nordallianz, die Kabul schon vor dem Sieg der Taliban zerstört hätten, seien jetzt an der Macht, sie gäben sich jetzt nur ein wenig „höflicher“ und „westlicher“. Rawa war deshalb auch gegen die Abhaltung einer Loja Dschirga.

Die Einschätzung von Beate Ziegler von der Frauenhilfsorganisation „medica mondiale“ war da wesentlich differenzierter. Frisch aus Kabul zurückgekehrt, wusste sie von „spannenden Debatten“ unter den weiblichen Delegierten der Loja Dschirga zu berichten. In einer eintägigen Vorbereitungssitzung, ausgerichtet von der UN-Frauenorganisation Unifem und der UN-Afghanistanmission Unama, diskutierten die Afghaninnen die Einführung einer Quote in allen Ministerien. Die einen seien mit Verweis auf ihren der Taliban-Herrschaft geschuldeten Bildungsrückstand dagegen gewesen, die anderen dafür, verbunden mit der Forderung nach angemessenen Qualifizierungsmaßnahmen. Auch bei einem anderen Thema habe die Frauenversammlung ein Tabu gebrochen und psychologische Unterstützung für die Aufarbeitung von Kriegstraumata gefordert.

Die Loja Dschirga selbst hätten viele Frauen als sehr zwiespältig erlebt, berichtete Ziegler weiter. Einerseits sei es ein Erfolg gewesen, dass dort überhaupt Frauen redeten und sich „mutig gegen die Teilnahme von Warlords wie General Dostum stellten“. Andererseits seien viele Frauen nicht zu Wort gekommen, ihnen wurde das Mikrofon abgedreht, oder sie erhielten Drohungen wie: „Warte nur, bis du das Gelände verlassen hast!“

Ähnliches berichtet auch die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW). Eine Gruppe von Delegierten habe eine „kriegsverbrecherfreie“ Kandidatenliste für die Übergangsregierung präsentieren wollen, doch bevor sie dazu kam, hätten mindestens drei ihrer Mitglieder Todesdrohungen erhalten. Resultat laut HRW: „Die Warlords sind durch die Loja Dschirga gestärkt worden.“

Auch hat die Große Ratsversammlung entgegen ihrem Auftrag weder die Übergangsregierung noch das Übergangsparlament noch die Mitglieder der neu zu gründenden Menschenrechts-, Justiz- und Verfassungskommission bestimmt. Bis dato ist unbekannt, ob Frauen in der neuen Übergangsregierung überhaupt vertreten sein werden. Die bisherige Frauenministerin Sima Samar wurde durch zahlreiche Drohungen islamistischer Gruppen amtsmüde gemacht, dem Vernehmen nach will sie nun Vorsitzende der Menschenrechtskommission werden, die bisher zwölf männliche Mitglieder hat. Auch in die Justizkommission soll eine Frau berufen werden. Ob Frauen in der Verfassungskommission vertreten sein werden, ist unklar. Da allen drei Kommissionen bei den Frauenrechten eine Schlüsselstellung zukommt, forderte die „medica“-Vertreterin, „mindestens genauso aufmerksam wie früher“ die Geschehnisse in Afghanistan zu verfolgen.

Ohne europäische Unterstützung, stimmte Mariam Notten dem bei, sei die Teilnahme der Frauen in der Loja Dschirga „undenkbar gewesen“. Die afghanische Soziologin wünschte sich die Präsenz einer „internationalen Beobachterinnengruppe“ und die Ausdehnung des Mandats der Isaf-Schutztruppen auf die wichtigsten Provinzstädte: „Das hätte eine wichtige psychologische Wirkung.“ UTE SCHEUB

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