Hurricane-Schlammschlachten

Großartig: Nass und laut, matschig und chaotisch bürokratisch: Das Hurricane-Festival in Scheeßel. Auf die Schlammwiesen kamen insgesamt 50.000 Zuschauer und an Bands, alles was Rang und Namen hatte

Anarchie auf den Parkplätzen, die weite Welt des schnellen Futters auf dem TellerWer genau hinschaut (Pfützen, Schilder), hat es auf einem solchen Festival leichter

Sie wollen einen Bericht? Sie kriegen einen, so verdammt exklusiv, wie es jeder wäre, denn in den extremen Verhältnissen eines Open Air Festivals – Anarchie auf den Parkplätzen und straffste Verhältnisse hinter der Bühne – gibt es für ein jedes jene unvergesslichen Momente. Sie müssen ja nicht unbedingt schön sein, diese Momente.

Zielloses Irren über Felder, auf denen in Schlammpfützen Menschen mit seligem Lächeln schlummern, zwischen Containern hin und her geschickt werden, in denen es Bändchen für Tickets gibt oder andersherum – wichtig ist, zuerst am richtigen Container anzuklopfen, weil man nicht mal eben fragen kann, ob man hier richtig ist, denn dann sagen die anderen in der Schlange, man wolle sich vordrängen (was in der Tat eben das ist, was man am liebsten tun würde). Irgendwo steht am Container aber wirklich immer präzise, was es gibt und was nicht. Und man lernt: Wer genau hinschaut, hat es leichter auf so einem Festival.

Der Regen hatte schon früh begonnen, dem diesjährigen Hurricane den Boden unter den Füßen wegzuziehen, was allerdings, das weiß man spätestens seit Woodstock, mit einem Festival als Ganzes und solches gar nicht geht. Der Wille, sich zu amüsieren, ist stärker. Wie Karneval, da geht man ja auch nicht wegen ein paar Schlammlawinen gleich nach Hause, um dann wieder ein Jahr zu warten, bis man wieder lustig sein darf.

Die Musik steigt dabei zur allerschönsten Nebensache der Welt auf. Die Bedingungen für ihren Konsum sind oft –sagen wir – problematisch, die Sichtverhältnisse notwendig limitiert bei einem Festival mit 50.000 Zuschauern, für die es diesmal auch eine Leinwand gab, auf dem auch die weiter hinten Stehenden sehen konnten, wie Nelly Furtado, Fettes Brot, Ärzte und Red Hot Chilli Peppers über die Bühne hüpften, und auch, wie New Order nach einigem Zögern doch noch kamen und gegen den Regen spielten und grimmige Witze darüber machten. Und über Fußball. Alte Hits von Joy Division, neue und alte von New Order, überraschend gitarrig-rockig.

Wer danach heim wollte und sein Auto auf den umliegenden Weiden abgestellt hatte, musste nicht nur lange durch den Regen gehen, sondern auch noch sein Auto anschieben (lassen), bis hoch auf die Straße, um hernach – schlammbesudelt – in den Sitz sinken zu können und loszufahren (wenn einem nicht gerade ein Mitfahrer abhanden gekommen war, aber das ist eine andere Geschichte).

Zurück zum Festival, zurück zur Musik, zu den Menschen. Jeder und jede kann hier ein Star werden. Ein junger Mann fesselte sein Publikum von spontanem Genie beseelt mit gewagten Sprüngen in eine besonders schöne und tiefe Schlammpfütze, und man durfte sich auch mit ihm photographieren lassen. Oder etwas essen, aus der weiten Welt des schnellen Futters, von Pizza bis Chop Suey, von einem Viertelmeter Bratwurst bis zur „Mantaplatte“, bestehend aus – richtig geraten – Currywurst und Pommes mit Ketchup und Mayo.

Später ist auf den Toiletten zu sehen, wohin diese ausgewogene Diät kommt, aber bitte, niemand hat es anders gewollt. Niemand kann sagen, er hätte von nichts gewusst. Und es wäre auch dreist zu behaupten, man habe nicht mit Regen rechnen können! Zwischen Bremen und Hamburg – im Juni – machen Sie sich nicht lächerlich!

Garbage spielten die Ramones. „I Just Wanna Have Something To Do“ – alright, und da war es noch eitel Durchwachsensein, mit Sonne zwischendrin. War es das, was der Black Rebel Motorcycle Club meinte, als er seine Vereinshymne sang: „Whatever Happened To My Punkrocksong“? Die Breeders – in letzter Zeit vor allem durch desolate Interviews aufgefallen – wurden mit Spannung erwartet und sorgten für Gesprächsstoff. Und es war voll im Zelt, als sie spielten, was bestimmt nicht mit dem nun für den Rest der Nacht einsetzenden Regen zu tun hatte.

Nicht dass die Spannung nun durch etwas besonders Schlimmes oder Großartiges aufgelöst worden wäre. Eher gab es zwei reizend angeschickerte große Damen des Alternative Rock, unterstützt von einer Hardcore-Band, der man ihre Vergangenheit nicht anhörte. Und dann New Order, die neben trockenen Witzen noch Baader-Meinhof grüßten. Am Sonntag dann noch einmal ganz großes Kino –Ärzte, Red Hot Chilli Peppers, Sie wissen schon, was ich meine. Nächstes Jahr sehen wir uns dort. Garantiert.

Andreas Schnell