big in korea
: FRANK KETTERER deduziert logisch

Fragen eines fraglichen Erfolgs

Der Abend war längst schon zur Nacht geworden und auch die schon wieder dabei, sich in den nächsten Morgen zu verwandeln. Das heißt, es war schon verdammt spät, oder bessser gesagt: verdammt früh, aber an Schlaf konnte noch immer nicht gedacht werden. Dafür war zu Aufwühlendes und Verrücktes, ja beinahe Groteskes geschehen im Munsu Football Stadium von Ulsan, in dem Deutschland ein paar Stunden zuvor sein Viertelfinalspiel gewonnen hatte gegen die USA. Damit standen und stehen Rudis Buben tatsächlich im Halbfinale dieser Fußball-Weltmeisterschaft. Das kann, mit Verlaub, schlaflose Nächte bereiten.

In der Lobby des netten Suisse-Hotel brannten auf jeden Fall noch die Lichter, und es stand eine Armada von Bierdosen auf dem Tisch, um den herum ein paar Kollegen saßen und sich die Köpfe heiß redeten über diese deutsche Mannschaft, über die Oliver Kahn gerade gesagt hatte, sie sei mit dem Einzug in dieses Halbfinale wieder angekommen im Kreis der vier weltbesten Fußballteams. Darüber bestand übrigens Übereinstimmung (was unter Journalisten selten passiert): dass Oliver Kahn das zwar gesagt, aber ganz bestimmt nicht so gemeint hat, sondern damit vielmehr ausdrücken wollte, dass es so schlecht, wie es nach der EM vor zwei Jahren schien, um den deutschen Fußball nun auch wieder nicht bestellt ist.

Aber wie gut ist es denn nun um ihn bestellt, jetzt, da er wieder im Halbfinale einer Weltmeisterschaft steht, zum ersten Mal seit zwölf Jahren? Darauf gab es keine Antwort, jedenfalls nicht in dieser Nacht im Suisse Hotel, so heiß sich die Köpfe hinter all den Bierdosen auch redeten. Denn dafür bestehen allzu viele offene Fragen, mehr denn je, Fragen wie diese: Darf eine Mannschaft, die gegen Saudi-Arabien, Irland, Kamerun, Paraguay und die USA gewinnt oder zumindest nicht verliert, also gegen die zweite Garnitur des Weltfußballs, tatsächlich schon im Halbfinale eines solchen Turniers stehen oder am Ende gar im Finale, ohne auf dem Weg dorthin eine wirkliche Fußballgroßmacht aus dem Weg räumen zu müssen, jetzt, da auch noch Spanien die Segel gestrichen bekommen hat? Kann es sein, dass eine Mannschaft, die ein Spiel spielt, das für elf Mann erfunden wurde, am Ende doch nur von einem dominiert wird und dann auch noch ausgerechnet von jenem, der gar kein echter Fußballer ist, sondern die Hände mitbenutzen darf? Geht es an, dass ein Team, das, wohlgemerkt laut den Aussagen des eigenen Trainers, bisher wenig bis gar keinen Fußball gespielt hat, immer noch die Chance besitzt, am Ende Weltmeister zu werden? Und vor allem: Wie sehr darf man all das einer Mannschaft vorwerfen, die aus ein paar netten Kerlen besteht, die ohne jedwede Aussichten auf Erfolg nach Asien gereist sind und allweil auch noch offen zugeben, hier bisher keine Bäume ausgerissen zu haben, im fußballerischen Sinne versteht sich?

So gesehen steckt nicht nur die Mannschaft in einem tiefen Dilemma, nämlich dem, ganz offensichtlich keinen auch nur halbwegs ansehnlichen Fußball spielen zu können, sondern auch die ganze Journalistenmeute, die darüber berichten muss. Denn wer möchte all die Kritik am deutschen Kick in all der Siegeseuphorie wirklich lesen? Oder: Ist schlussendlich nicht vielleicht doch die Mannschaft die beste, die am Ende als Sieger vom Platz geht, ganz egal wie und welch unhübschen Fußball sie zuvor gespielt hat? Und: Hat diese Mannschaft bisher nicht alles richtig gemacht, sie hat hier schließlich noch kein Spiel verloren, dabei erst ein Tor kassiert und steht im Halbfinale? Übrigens: Wo steht denn überhaupt geschrieben, dass man das nur mit schönem Traumfußball erreichen darf? Und wenn doch: Wo sind jetzt die Spanier und Portugiesen, Argentinier und Franzosen? Ergo: Heiligt der Zweck am Ende nicht doch die bescheidenen Mittel, auch wenn man das als traurig empfinden mag für den Fußball, als sehr traurig sogar?

Die Sportreporter hier haben sich mit diesem Schicksal mittlerweile arrangiert und sich als Antwort darauf und auf all die anderen Fragen dahingehend geeinigt, dass das Fest in Asien, was das fußballerische Niveau betrifft, die schwächste WM ist seit Menschengedenken. Wenn Deutschland am Ende tatsächlich Weltmeister werden sollte, wäre es also nur die logische Folge.