fernöstlicher diwan
: Ein fußballinspirierter Diebeszug durch die Stadt

Der große Rüschenklau

Wenn Sie nach dem Halbfinale entdecken, dass ihre gesamte olle Soul- und Psychedelic-Plattensammlung fehlt, dass Ihr schniekes Jackson-Pollock-Bild nicht mehr über den Panton-Stühlen hängt und auf dem Schreibtisch statt des Superpowerbooks nur ein paar einsame USB-Kabel baumeln, dann war ich das. Ich habe mir vorgenommen, die schöne Tradition des Irgendwo-Einbrechens-wenn-ein-Straßenfeger-läuft wieder aufleben zu lassen. Vorgestern habe ich mir bei Obi das gleiche Einbruchswerkzeug (Bohrmaschine, Seilwinde, ein paar Stangen Tresor-Dynamit und Kreditkarten zum Türenknacken) wie bei „Top Job – Diamantenraub in Rio“ besorgt, dazu eine Hasskappe, einen schwarzen Catsuit und eine Brille, mit der ich Infrarotstrahlen sichtbar machen kann. Obwohl ich, zugegeben, nicht sicher weiß, ob ich damit in Sachen Sicherheitsmaßnahmen auf dem neuesten Stand bin, der Film ist von 1967. Man wird sehen.

JENNI ZYLKAS WMLieblingsspieler: Ilhan Mansiz, bin überhupt wordenLieblingsteam: Ach was. Habe nur LieblingseisWeltmeister: Deutschland, damit ich besser stehlen kann

Das Deutschlandspiel gucken werde ich ganz bestimmt nicht. Am Freitag war endgültig das letzte Mal in dieser verdammten WM, dass ich irgendjemanden „Deutschland“ brüllen gehört haben will. Der Zufall, dieser Lumpenhund, verschlug mich nämlich an einen Ort, an dem Deutschland-Gucken noch eine ganz andere Grauen-Dimension annahm: Um 13.25 Uhr brauste ich durch die Stadt, um einen kleinen Jungen von der Schule abzuholen. Und fand mich zum Anpfiff um 13.30 Uhr umringt von Müttern, Kindern, Erzieherinnen und Kleinstkindern: die Nachmittagsbetreuung. Die Pforte zur Hölle.

Ich kam mir vor wie Charlie Parker in diesem Gary-Larson-Comic namens „Charlie Parkers private hell“, in dem Charlie, eingesperrt in einen Glaskasten mit Boxen, verzweifelt an der Scheibe kratzt, während der Teufel gemütlich draußen sitzt und Charlie mit einer „New Age“-Platte nach der anderen foltert. „Wer hat das Kaugummi da hingeschmiert?“ „Franziska, wenn du Comics lesen willst, dann geh bitte in den Leseraum!“ „Aaron, setzt dich hin!“ „Buäääähhhh!!“ „Welche Trikots trägt Deutschland noch mal?“ „Olli, du bist super!“ (begleitet von Mitmach-Patschhändchen-Klatschen).

In der Halbzeitpause greife ich den befreundeten Jungen und brause mit ihm in die nächste Kneipe, ein Stundentenpuff, in dem wohltuend, aber auch irgendwie überraschend geschwiegen wird: Ist das vielleicht typisch für die neue Studi-Generation? Halten ihre Klappe? Trinken kein Bier, obwohl die Turmuhr schon 14 Uhr geschlagen hat? Lassen den Muff aus tausend Jahren da, wo er ist? Das Spiel zieht und zieht sich, ich gucke immer nach Tony Sanneh, weil ich den Ex-Herthaner sympathisch finde und schon mal in seiner Berliner Kneipe einen Cocktail getrunken habe und weil er außerdem gut spielt. Aber nach dem pissigen Ballack-Tor passiert nüscht mehr – Ami go home und Deutschland, halt’s Maul.

Am nächsten Tag, an dem alle Berliner Türken auf einmal hupen, reift in mir der Einbruchsplan. Und ich werde sogar zweimal zuschlagen, einmal beim Deutschland-Südkorea-Spiel und einmal bei der Türkei. Genau! Ich weiß zwar nicht 100-prozentig, was ich in den Kreuzberger-Türken-Haushalten finden werde. Wenn es das ist, womit die Mamis in den türkischen Mega-Discountern immer an der Kasse stehen, dann habe ich demnächst ein paar tausend Rüschenbettüberwürfe und ein paar hundert Plastikschälchen mehr. Aber man weiß ja nie, wozu das gut ist, vielleicht muss ich in einem späteren Leben mal ein fröhliches Picknick für 200 Leute ausrichten, und dann sitzen wir alle auf Rüschenbettüberwürfen und essen den Apfelmus aus Plastikschälchen. Nur eines ist klar: Autos werde ich nicht klauen können, die sind alle in Gebrauch, jedenfalls wenn die Türkei gewinnt. Na ja, dagegen hätte ich eigentlich nichts, vielleicht gehe ich auch einfach nur in die Wohnungen und hinterlasse einen albernen Zettel mit „Allah ist groß, Allah ist mächtig, wenn er auf dem Stuhl steht, ist er nur einssechzig“.

Doch bewahre! Sollten, weil sie mehr Glück als Verstand haben, auch die Deutschen weiterhin gewinnen, dann werde ich mich wie bekloppt durch die Stadt diebstehlen. Ich werde im reichsten Stadtteil anfangen, alles mitnehmen, was nicht niet-und nagelfest ist, ich werde frech in Wohnungen reingehen, in denen alle brüllend vor dem Fernseher hocken, und hinter ihrem Rücken das gute Tafelsilber, die Fabergé-Eier und den Chateauneuf du Pape von 1953 in meinen Sack stecken. Dann werde ich auch in meinem eigenen, bettelarmen Stadtteil hausen, den Exscheinstudenten die Sozialhilfe und das Hasch wegnehmen, den Alkoholikern das Schulle und kleinen Kindern ihre Lieblingsstofftiere. Und wenn die Polizei kommt, bin ich längst über alle Berge.

JENNI ZYLKA