Klassenziel Chancengleichheit verfehlt

In SPD-regierten Ländern sind Schülerleistungen stärker von der sozialen Herkunft abhängig als im CSU-Land Bayern

Von dieser Vorstellung muss sich die Republik verabschieden: Die unionsregierten Länder, allen voran Bayern und Baden-Württemberg, stärken die Schülerelite und gewinnen deshalb beim Pisa-Ländervergleich. Die Sozialdemokraten aber unterstützen die Schwachen besser. Dem ist nicht so, das zeigen die Ergebnisse des Pisa-Bundesländervergleichs, die der taz vorliegen.

Die SPD-regierten Länder schaffen es nicht, Kinder aus sozial schwachen und eingewanderten Familien so zu fördern, dass sie die mitgebrachten Bildungsnachteile in der Schule überwinden. Ganz im Gegenteil: Beim Lesen, von den Pisa-Forschern als Schüsselkompetenz angesehen, ist das Können der Jugendlichen besonders in Hessen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz stark von der sozialen Herkunft abhängig. Das alles sind Länder, in denen die Sozialdemokraten regieren oder lange Zeit regiert haben. Bayern kommt auf dieser Negativliste erst auf Platz 6, Baden-Württemberg sogar erst auf Platz 10 unter den 13 deutschen Flächenländern. Ob das nun an den besser ausgebildeten Lehrern oder den heterogeneren Hauptschulklassen in den Südländern liegt, dazu äußern sich die Pisa-Forscher vom Max-Planck-Institut nicht.

Die große Anzahl und die relative Heterogenität der Hauptschüler sind die Kehrseite von Bayerns rigider Selektion: In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Hauptschüler, ist der Bildungsgang so stark abhängig vom sozialen Status der Familie: Bei gleichen Fähigkeiten ist in Stoibers Musterland die Chance für Kinder aus Oberschichtfamilien zehnmal so groß, das Gymnasium zu besuchen, wie für ihre Altersgenossen aus der Arbeiterschicht. Ein großes soziales Gefälle verzeichnen die Wissenschaftler auch in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Am besten schneidet hier von den alten Bundesländern Baden-Württemberg ab, besonders gut aber sind die neuen Länder. Da die Eltern aus DDR-Zeiten noch an die Einheitsschule gewöhnt sind, haben hier sozial schwache Familien weniger Hemmungen vor dem Gymnasium, so die Erklärung.

Ein schlechtes Zeugnis stellen die Wissenschaftler allen Bundesländern in Sachen Integration von Migrantenkindern aus. „Bei Jugendlichen aus reinen Zuwandererfamilien findet man eine Bildungsbeteiligung, wie sie in Deutschland etwa 1970 anzutreffen war“, heißt es in der Studie. „Man kann also von einer 30 Jahre versetzten Entwicklung sprechen.“ Nur 15 Prozent der Kinder gehen auf das Gymnasium, fast die Häfte der Kinder besucht die Hauptschule. In Bayern sind das sogar zwei Drittel. Auch in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist die Quote überdurchschnittlich hoch. In Hessen, Niedersachsen, NRW und dem Saarland ist zwar der Übergang zu mittleren und höheren Bildungsgängen leichter, zur Annäherung an die Bildungswege der deutschen Schüler aber führt das nur in Hessen und Niedersachsen.

Der schulische Erfolg der Migrantenkids ist aber nicht so sehr vom sozialen Status der Familie oder ihrer Nähe zur deutschen Kultur abhängig. „Von entscheidender Bedeutung ist die Beherrschung der deutschen Sprache“, schreiben die Pisa-Forscher. Bei gleicher Lesekompetenz schaffen Kinder aus Zuwandererfamilien sogar häufiger den Sprung auf die Realschule oder das Gymnasium als ihre deutschen Altersgenossen. Am größten übrigens ist insgesamt der Leistungsunterschied von deutschen und nichtdeutschen Kindern in Bremen und NRW, am geringsten in Bayern. SABINE AM ORDE