was macht eigentlich ...Wolfgang Thierse

Mal vorbeischauen

Ja, ja, schon klar: Man kann das abtun als Wahlkampfgeschleime eines Politikers, der um sein Direktmandat kämpft. Es ist auch leicht, das alles bloß als symbolische Politik abzuhaken. Und sicher, von dem Mann kennen wir das schon länger, dass er mit halb öffentlichen, halb privaten Auftritten Öffentlichkeit sucht. Aber irgendwie ist es schon cool, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bei ehemaligen Hausbesetzern auftaucht, um mit ihnen zu feiern.

So geschehen am Samstag in der Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg beim Fest zum 10-Jährigen der letzten geglückten Besetzung in Berlin. Drei gepanzerte Limousinen fuhren vor, Herren mit breiten Schultern standen plötzlich auf der Straße vor dem Gründerzeit-Bau – und mit Strohhut auf dem Kopf trat Thierse in den zweiten Hof. „Die Kunstaktion der Vereinigten Varben Wawavox ist mir bekannt, und ich unterstütze ihr Anliegen“, erklärte Thierse in einem Brief im Juli 1992 an die kunstbeflissenen Besetzer. Nicht zuletzt dieser politische Beistand sicherte die dauerhafte Inbesitznahme/Nutzung des leer stehenden Hauses: Aus Besetzern wurden brave Mieter, die neue Formen des Zusammenlebens erproben. Erfolgreich. Die Dauer des Experiments gibt ihnen Recht.

„Spülen ist Kunst. Wer das nicht glaubt, kann gerne vorbeikommen, den Spülberg bekämpfen und signieren“, schrieb die Besetzer-Vereinigung Wawavox 1993. Auch Politik kann Kunst sein. Kunst im öffentlichen Raum, wo Symbole zählen. GES
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