wie es in den siebzigern wirklich war von PETER KÖHLER
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Wir hocken bei Jutz in der Bude auf dem Fußboden. Die Räucherstäbchen machen ordentlich was an Geruch, und in den Tassen baumelt mächtig Jasmintee.

„Haste ma’n Blättchen?“, fragt Hotte in seinem spreckigen Parka, den er nie auszieht, weil er so herrlich spreckig ist. Meine Haare zotteln bis zur Arschfalte, und an der Wand hängt ein Poster vom Che. Dem Matze in seinem orangen Hemd mit offenem Kragen wachsen die Brusthaare schon bis ganz unten. Martin hat seine Kackstelzen mit den überdimensionalen Boots auf die Matratze gedotzt, und Andrea klappert mit den Stricknadeln gegen das bürgerliche System.

„Du, der Hesse bringt’s echt“, pumpft Martin hervor. „Er ist irgendwie anders als Marx und Freud“, dölmert es aus Hotte. „Warste eigentlich auf der Fete vom Atze?“, klabastert Uwe dazwischen. „Nee, aber haste zuletzt ‚Department S‘ gesehen?“, gluckst Sabine. „Der Peter Wyngarde ist echt super!“, kichert Jutz. „Jason King!“, giggelt Birgit. „Billy Boy!“, kiekst Andrea, der sogar die Wolle rot anläuft. „Nö, ‚Shiloh Ranch‘ guck’ ich nicht so oft“, klamüsert Martin. Ich dreh’ mir eine Fluppe, dann berichtet Bernd-Dieter endlich von den amerikanischen Konzernen in Uganda-Burundi und vom Befreiungskampf der Tupamaros in Südafrika und der ganzen spießbürgerlich-faschistischen Scheißmoral und so. Der Jutz ihre Katze schnurrt total aus der Ecke.

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“, dödelt Uwe und zwirbelt seinen Ziegenbart. Eine Ameise purzelt in Jutz ihren Tee. Jutz stört es nicht, weil sie gerade mit Matze. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, stimmt Andrea total zu. Sie kann super töpfern und Batikhemden färben mit dufte Mustern. „Ich möchte auch mal irgendwie was ganz konkret machen, ne“, rapunzelt Birgit, „vielleicht irgendwo mal. Aber echt, oder?“ Ihre Jeans hat so weiten Schlag, dass sie in die Hose auch von unten reinsteigen könnte. Von irgendwo pöpst es total nach Müffel oder so.

Sabine malt F. J. Strauß ein Hitlerbärtchen an, auf dem verhuscht kopierten Foto vom Flugblatt der AG Rote Linke. „Der Schoß ist fruchtbar noch!“, eumelt Hotte und kröpelt ein Stückchen aus seinem Riechkolben: „Tucholsky!“ – „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“, schnafftet es aus Karin. Sie war mal bei der KPD/ML-AO, jetzt ist sie Sympathisantin bei den Trotzkisten vom linken Flügel im KBW-Jungliberale.

„Du, Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, du“, pötert Bernd-Dieter, „aber gegen Sachen ist okay.“ – „Ist doch eh klar!“, grinst Hotte und zupft an seiner blonden Struppelstrotzenmatte, die bis zu den Kniekehlen reicht. Andrea kratzt sich an meinem Sack, aber nur mit den Enden der Stricknadeln. Jutz legt eine Platte von Cat Stevens auf, natürlich ganz nass. Uwe drückt sich einen Schluck vom Whisky mit O-Saft rein, und Matze dreht einen Joint für alle, groß wie eine Trompetenhose. Martin quetscht sich einen Fettpickel aus. Jutz kurbelt eine Kerze an. Hotte klaubt eine Gitarre aus seinem spreckigen Parka, zum Klampfen. Dann wird es noch ein irre toller Abend.