„Ich muss sehr neutral sein“

Gespräch mit Shun-ichiro Okano, dem Präsidenten des japanischen Fußballverbands und Mitglied der IOC-Exekutive, über Südkoreas Erfolge, deutsche Effizienz und die Zukunft des Fußballs in Japan

Interview MARTIN HÄGELE

taz: Hätten Sie sich einmal vorstellen können, dass wir beim Finale in Yokohama nun vielleicht eine koreanische Invasion erleben?

Shun-ichiro Okano: Ich bin vor der WM oft von koreanischen Journalisten interviewt worden: Denen habe ich immer gesagt: Eure Mannschaft hat drei große Vorteile: Tempo, Kondition und Willen, und jeder Spieler besitzt eine gute Technik. Um gegen bessere Mannschaften zu bestehen, fehlte ihnen nur das taktische Rüstzeug. Als ich die „Roten Teufel“ dann in den letzten Testspielen vor dem Turnier sah, war ich total überrascht. Plötzlich besaßen die ein richtiges System, sowohl defensiv als auch im Angriff. Dass sie dann während der WM so durchmarschieren würden, war deshalb für mich keine Überraschung mehr – selbst wenn sie das Halbfinale gegen Deutschland gewinnen sollten. All diese taktischen Dinge hat Guus Hiddink der Mannschaft beigebracht. Er ist ein ganz großer, angenehmer und sehr intelligenter Trainer, man kann nur den Hut vor seiner Arbeit ziehen.

Wir nehmen aber an, dass Sie jetzt Ihren deutschen Freunden die Daumen drücken?

Einige meiner besten Freunde kommen aus Deutschland, anderseits sind die Koreaner bei dieser WM meine Kollegen. Deshalb muss ich auf der Tribüne sehr, sehr neutral sein. (lacht)

Wie hat denn Ihre Freundschaft mit dem deutschen Fußball begonnen?

Ich habe Trainerkurse bei Sepp Herberger, Helmut Schön, Udo Lattek und Hennes Weisweiler mitgemacht. So sind auch persönliche Freundschaften entstanden. Ich habe schon einige Gläser guten Wein mit Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, aber auch mit dem gerade verstorbenen Fritz Walter getrunken.

Von ihren großen Zeiten sind die Deutschen im Moment ja einiges entfernt und deshalb hier auch sehr kritisiert worden.

Die Deutschen verbreiten keinen Glanz, aber in der Luft sind sie die stärksten. Schon Hennes Weisweiler hat uns früher beigebracht, dass man Spiele auch über Eckbälle und Freistöße gewinnen kann.

Südkorea im Finale in Japan – würde dieser Coup nicht den Erfolg von Team Nippon total in den Schatten stellen?

Natürlich sind nach den ersten Siegen die Erwartungen der Öffentlichkeit in den Himmel gewachsen. Aber wenn wir die wirklich guten Leistungen unserer Mannschaft genau analysieren, kommt man auch zu dem Schluss: Wir haben fünf Tore geschossen und drei bekommen, und unsere besten Torschützen waren die Mittelfeldspieler Inamoto und Nakata. Wir brauchen Profis, die nicht nur schnell und lange rennen können, sondern auch individuelle Fähigkeiten besitzen – besonders wenn ich sie mit den Koreanern vergleiche. 2006 in Deutschland wird es für Japan schwieriger werden. Und zwar nicht nur, weil wir uns da ja wieder qualifizieren müssen.

Als Präsident des ostasiatischen Verbandes stehen Sie gut da. Kann die gesamtasiatische Konföderation nun die Erfolge Koreas und Japans als Kriterium nehmen, einen fünften WM-Platz zu verlangen?

In fast 50 Jahren hatten Teams aus Asien gerade mal vier Spiele gewonnen, nun innerhalb von drei Wochen schon sechs – und das Turnier ist noch nicht vorbei. Ich hoffe, dass die Fifa-Exekutive aber auch an die Rolle denkt, welche der asiatische Markt im Weltfußball spielt: Mehr als die Hälfte aller Menschen lebt auf diesem Kontinent, und Fußball ist der populärste Sport in fast allen unsern Ländern.

Die letzten Studien haben ergeben, dass Fußball auch in Japan dem Baseball langsam den Rang abläuft.

Unter den älteren Leuten dominiert Baseball. Bei der jungen Generation, und das sind diejenigen, die das meiste Geld ausgeben, überwiegen die Fußball-Anhänger. Und unter den ganz Jungen sehe ich eine große Zukunft.

Und wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Nationalmannschaft?

In der Mannschaft steckt noch einiges Potenzial. Sie war ja eine der jüngsten. In der Hierarchie in Asien ist jetzt Korea die Nummer eins, wir Nummer zwei, dann kommen China, die Araber, und ganz bestimmt auch wieder der Iran. Ich glaube, dass sich der Wettbewerb sehr verschärfen wird, vor allem hinsichtlich der Qualifikation für die nächste WM. Wir dürfen uns nicht auf diesen Erfolgen ausruhen, wir müssen noch viel mehr nach Talenten suchen. Wir haben ja neun große Trainingszentren im ganzen Land. Dort muss das umgesetzt werden, was dem Fußball in den vergangenen Wochen in Japan so viele neue Freunde geschaffen hat.