„Wir brauchen Zeit und Geduld“

Herta Däubler-Gmelin setzt auf die Abschaffung der Todesstrafe in China durch Dialog

taz: Der Jahresbericht 2001 von amnesty international weist eine stark steigende Zahl von Exekutionen in China aus. Im gleichen Jahr trat das Land der WTO bei und unterwarf sich den internationalen Gesetzen der Marktwirtschaft. Widerspricht das nicht allen Hoffnungen, dass die Marktwirtschaft in China zur Verwirklichung der Menschenrechte beiträgt?

Herta Däubler-Gmelin: Sie haben die wichtigsten der ganz unterschiedlichen Seiten der komplexen chinesischen Wirklichkeit benannt. Jeder sieht die vielen positiven Entwicklungen in China und die wirtschaftliche Dynamik, die das Leben für viele Chinesen erheblich verbessert haben. Zugleich aber gibt es riesige Probleme, die bei vielen in Deutschland Unverständnis auslösen. Ich denke aber, dass die chinesische Führung den Willen hat, eine stabile soziale Entwicklung in einem rechtsstaatlichen Gesamtsystem aufzubauen. Hier wollen wir mithelfen. Das braucht allerdings Zeit und Geduld.

Seit zwei Jahren sind Sie auf deutscher Seite für einen Rechtsstaatsdialog mit der chinesischen Regierung verantwortlich. Können Sie dabei auch heiße Eisen wie die Todesstrafe anfassen?

Unsere besondere Zusammenarbeit mit China bringt auch Richter, Anwälte, Beamte und Wissenschaftler zusammen und soll die Verbindung von sozialer Entwicklung mit Rechtsstaatlichkeit fördern. Wir kooperieren in zahlreichen Einzelbereichen des Aufbaus einer rechtsstaatlichen Ordnung, zum Beispiel bei der Schaffung klarer Gesetze und der Sicherung unabhängiger Richter. Natürlich geht es dabei auch um Grundsatzfragen, und wir sprechen regelmäßig auch über Menschenrechte und darüber, dass wir die Todesstrafe mit guten Gründen ablehnen. Über die Todesstrafe wird heute in China offener diskutiert als früher. Die chinesische Führung hält an ihr fest, übrigens gelegentlich auch unter Hinweis auf die Vereinigten Staaten.

Wie beurteilen Sie langfristig die Chancen für die Abschaffung der Todesstrafe in China?

Schon heute beobachtet China genau, was in Europa passiert. Man nimmt dort auch die Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa genau zur Kenntnis, wo ja die früher geltende Todesstrafe zunächst verfahrensmäßig erschwert, dann ausgesetzt und dann abgeschafft wurde. Das hat die Stabilität und die soziale Entwicklung und den Aufbau des Rechtsstaats bekanntlich gefördert. Dieser Pragmatismus macht Hoffnung auf Fortschritte in China auch in dieser Frage.

Wie kann den Gegnern der Todesstrafe in China heute am effektivsten vom Ausland geholfen werden?

Indem wir einerseits die Menschenrechtsverletzungen als solche benennen, aber auch die vielen Fortschritte für die große Zahl der Menschen als das bezeichnen, was sie sind, nämlich mühsam erkämpfte Erfolge auf dem Weg zu einer stabilen sozialen Entwicklung mit einer rechtsstaatlichen Ordnung. Das ist richtig und fair und hilft auch der Kooperation.

Außerdem ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Todesstrafe eher zu mehr Gewalt in der Gesellschaft führt, dass also neben unseren grundsätzlichen Erwägungen auch ganz pragmatische Gründe für ihre Abschaffung sprechen.

INTERVIEW: GEORG BLUME