Tod für 50 Gramm

Alljährlich zum Anti-Drogen-Tag der Vereinten Nationen steigt in China die Zahl der Todesurteile

aus Peking GEORG BLUME

Immer im Juni steigt in China die Zahl der Hinrichtungen drastisch an. Denn am 26. Juni feiert die Volksrepublik den von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Anti-Drogen-Tag. Zugleich laufen die Vorbereitungen auf den Parteitag im Herbst. So sind die regierungsnahen Zeitungen dieser Tage wieder voll von Erfolgsmeldungen: Gestern berichtete die Pekinger Jugendzeitung über die Schließung einer Drogenküche in Xian, drei Tage zuvor war an gleicher Stelle von Aufklärungsveranstaltungen an Schulen die Rede. Ausführlicher noch behandelt die Rechtstageszeitung das Thema: In einer Serie über die „Ausrottung des Drogenteufels“ gibt sie einem „Arbeitsgesundheitslager“ für Drogenabhängige in der Provinz Yunnan gute Noten.

Hinter dem grausam anmutenden Umgang mit dem steigenden Drogenkonsum, von dem öffentlich die Rede ist, verbirgt sich in China eine Justiz, die mit einer Vielzahl von Todesurteilen für Drogenabhängige deutlich macht, mit welch brutaler Hilflosigkeit die Pekinger Regierung gegen soziale Probleme im Land vorgeht.

Die genaue Zahl der Todesurteile in Drogenfällen ist in China ebenso wie die Gesamtzahl der Exekutionen ein Staatsgeheimnis. Doch verzeichnete die Menschenrechtsorganisation amnesty international in ihrem letzten Todesstrafenbericht 1999 für China im Juni mit 500 Todesurteilen eine dreimal höhere Zahl als im Jahresdurchschnitt. Insgesamt hat amnesty bereits im Jahr 2001 fünfmal mehr Todesstrafen in China registriert als in der gesamten übrigen Welt.

Dabei trifft es kleine Sünder oft besonders hart. Rechtsanwalt Li Yunlong aus der Provinz Jiangxi, ein bekannter Kritiker der Todesstrafenpraxis in China, berichtet von einem Bauern, der wegen des Besitzes von 50 Gramm Heroin zum Tode verurteilt wurde. Li übernahm den Fall und erreichte eine Revision des Strafmaßes, indem er die eher zufällige Verwicklung des Verurteilten in das Drogengeschäft belegte. Doch Fälle, in denen sich renommierte Anwälte erfolgreich der Drogensünder annehmen, bilden die Ausnahme.

„Manche Anwälte nehmen prinzipiell keine Fälle an, die mit Drogen oder organisierter Kriminalität zu tun haben, weil sie sich daran die Finger verbrennen können“, weiß der Pekinger Rechtsanwalt Hu Yunteng, ebenfalls Kritiker der Höchststrafenpraxis. Hu deutet damit nur an, dass Anwälten ein stiller Boykott der Justizbehörden droht, sollten sie sich in Fällen wie etwa im Rahmen der Hart-zuschlagen-Kampagne (siehe Kasten) zu sehr für ihre Mandanten einsetzen.

Einer, der darauf keine Rücksicht nimmt, ist der Pekinger Strafrechtsexperte Tian Wenchang. Er verteidigt derzeit einen 42-jährigen Bauern aus Guangdong, der mit 20 Kilo Heroin im Gepäck bei einer Taxikontrolle erwischt und in erster Instanz zum Tode verurteil wurde. Hoffnung gebe es für seinen Mandanten nur aufgrund einer Kronzeugenregelung, wenn er also weitere Drogenverbrechen aufdecken könne, berichtet Tian. Doch sei das in diesem Fall nicht möglich. „Die Profitspanne ist im Drogenhandel so groß, dass die Leute keine Angst vor dem Tod haben“, spricht Tian aus bitterer Erfahrung. Eine von ihm geleitete Anwaltsvereinigung kämpft derzeit für eine Strafgesetzbuchänderung, die die Heroinmenge, auf deren Besitz die Todesstrafe stehen kann, von bisher 50 Gramm auf mehrere 100 Gramm anhebt.