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dör de dör dör*Ostfriesland ist bedroht

Ein letztes Moin

Ich sag: „Moin.“ Was sagst Du? Merhaba. Hello. Como te va. Bon jour. Salaam. Ach, Sesamstraße, in allen Sprachen hast du die Menschen und Mäuse dieser Welt begrüßt. Ein lächelndes „Moin“ hast du nie für mich ausgestrahlt. Jetzt ist es – vielleicht – zu spät. Denn das „Moin“ stirbt aus. Das meint jedenfalls Theo Schuster, legendärer Buchhändler und Verleger aus Leer und Erfinder der plattdeutschen Sprechplatte.

Nur noch Touristen

Rein menschlich gesehen ist das „Moin“ die Identität stiftende Begrüßungsformel der brutalst unterschätzten Minderheit Norddeutschlands. Nein, BremerInnen, nicht „hier“ rufen. Bremen sagt, wenn überhaupt: „Moin, moin.“ Das haben sie sich von den Hamburgern abgeguckt. Ostfriesland sagt: “Moin“. Einfach nur „Moin“.

Theo Schuster also sagt: „ Das ‚Moin‘ stirbt aus. Kein Schwein grüßt in Ostfriesland mehr mit ‚Moin‘. Nur Touristen.“ Das tut weh. Schuster ist Sprachkritiker genug, um zu wissen, dass das „Moin“ kein eigenständiger Sprachausdruck der Ostfriesen ist. (Hört, hört!)

Kratzen im Hals

Durch Gewohnheitsrecht leitet sich das „Moin“ aus dem Niederländischen (moie dag) ab. Anstelle der Ostfriesen übten niederländische protestantische Gemeinden in vielen friesischen Kommunen das Verwaltungsrecht aus. Niederländisch war bis weit ins 19. Jahrhundert Amtssprache in Ostfriesland. Dementsprechend war „Dag“ (sprich: Daachrr, das mit dem Kratzen im Hals) die umgangssprachliche Begrüßungsformel. Erst als der direkte Einfluss der Niederländer schwand, setzte sich ab dem 20. Jahrhundert das vermeintlich plattdeutsche „Moin“ durch.

Intimitäten, igitt

Gut, auf Helgoland, dem ehemals heiligen Ort aller Friesen, sagt man bis heute: „Hello“. Der englische Einfluss! Helgoländer geben einem ja auch nicht die Hand. Alte Schmugglertradition. „Igitt. Diese Intimitäten“, schimpft ein weltweit agierender ostfriesischer Reeder angewidert. Als Segler besucht er oft Helgoland: „Seitdem ich auf Helgoland war, bin ich bekennender ‚non-shaker‘.“ Soll heißen: Der Mann gibt keinem mehr die Hand.

„Die stinken“

Nur auf Norderney gibt es sonst noch von der Norm abweichende Begrüßungsrituale. Auf der Insel sagt man knapp: „Hei“. Diese Sprachreduktion kann möglicherweise auf die soziale Isolation der Insulaner zurückgeführt werden, vermuten Experten. Norderneyer schweigen sich über diesen Theorieansatz aus. Schon Heinrich Heine zeigte sich verwundert über die Eigenarten der Ureinwohner („Die stinken“). Die Norderneyer rächten sich nachhaltig an der deutschen Dichterikone. Der Nazi-Bilderschöpfer Arno Breker durfte auf der Insel ein Heine-Denkmal errichten, welches den jüdischen Dichterfürsten als debil verschrumpften Schrat zeigt.

Ein sicherer Kandidat

Dass das Standbild just am Rande des Platzes steht (früher „Roter Platz“), auf dem 1938 die jüdischen EinwohnerInnen der Insel zusammengetrieben und abtransportiert wurden, möchten die Norderneyer heute gar nicht mehr gewusst haben wollen.

Über diese Zeilen gebeugt sehe ich freudig meinen Nachbarn Hini vorm Fenster. Sein kryptisches rheiderländisch-ostfriesisch können nur Dechiffriermaschinen entziffern. Hini ist ein sicherer Kandidat für „Moin“. Hini aber sagt: „Wie geht‘s?“ Blöde Frage. Hinzu kommt der Nachbar linker Hand. „Hallo“, grüßt er erwartungsvoll. Es ist 11 Uhr, und da gibt es normalerweise den „Elfürtje“, hochdeutsch: einen Elfuhrschnaps. Lang zieht sich der Elfürtje hin. Ich werde wohl heute kein „Moin“ mehr hören.

Ostfriesisch-kurdisch

Doch da: „Moin!“ Ich glaub es kaum. „Moin“, grüßt glockenhell eine scheue Stimme, beim Einkauf im Lädchen am nächsten Tag. „Moin, Onkel Thomas“, grüßt Sherba. Sherba ist sieben. Kurdin. Ostfriesisch-kurdisch. Sherba geht demnächst zur Schule, wenn alles gut geht. Sie ist stolz, weil sie am besten von allen Mädchen in der Straße Britney Spears imitieren kann. “Moin Sherba“, noch ist Ostfriesland nicht verloren.

Thomas Schumacher

*„Dör de dör dör“ heisst, durch eine Tür durchgehen. Dabei ist nicht unbedingt klar, ob die Tür offen steht oder nicht. Ostfriesen mögen solche Spitzfindigkeiten nicht.

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