Gastkommentar
: Hartz-Kommission: Abschied staatlicher Sozialpolitik

Lieblinge des Sommertheaters

Erst das Wasser nicht halten können und dann fordern, dass nicht alles zerredet wird – das geht so nicht. Herr Hartz als selbsternannter Tabubrecher muss sich jetzt Argumenten stellen. Gegen eine Vereinfachung der Verwaltung und klarere Strukturen ist nichts einzuwenden. Ansonsten sind die bisher bekannt gewordenen Vorschläge nichts weiter als eine Fortsetzung der bisherigen Linie, mehr Druck auf Arbeitslose auszuüben und Leistungen zu verringern. Jetzt wird auch noch Amerika als Vorbild gepriesen.

Wer das tut, setzt leichtfertig den Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel. In Punkto Sozialpolitik ist Amerika ein abschreckendes Beispiel: fehlende Sicherung gegen Arbeitslosigkeit und Krankheit, zwei bis drei Jobs, um das Überleben der Familie zu sichern, eine hohe Analphabetenquote und hohe Kriminalität beweisen gerade, dass der europäische Weg, auch in Zeiten von Arbeitsplatzmangel nicht jede staatliche Regulierung abzubauen, der richtige ist. Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes kann nur eingelöst werden, wenn Menschen nicht gezwungen werden, jede auch noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen.

Der Grundsatz, dass man sich von geregelter Arbeit selber ernähren können muss, darf nicht in Frage gestellt werden. Es ist gerade richtig, dass Sozialleistungen verhindern, dass die unteren Einkommen immer weiter absinken.

Für die Grünen bleibt ein Grundsatz unverzichtbar: Auch länger andauernde Arbeitslosigkeit darf nicht dazu führen, dass das im Leben erarbeitete Häuschen oder die Lebensversicherung weg sind. Wenn es jetzt in Wahlkampfzeiten nur noch um „Rezepte“ geht, wie die Arbeitslosenzahlen schnell gesenkt werden können, müssen alle diejenigen, die in den Kommunen Politik machen, auf die negativen Folgen vor Ort hinweisen. Wer die Interessen einer lebenswerten Gesellschaft vertritt, muss dafür sorgen, dass die Schere zwischen arm und reich nicht immer weiter auseinander klafft.

Bremen hat 40.000 Arbeitslose und 4.000 offene Stellen. Mehr als 5.000 ArbeitnehmerInnen erhalten ergänzende Sozialhilfe, weil ihr Arbeitseinkommen nicht reicht, um die Familie zu ernähren. Vorschläge liegen auf dem Tisch: Verminderung der Lohnnebenkosten durch mehr Besteuerung von Ressourcenverbrauch, Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, Aufhebung des Meisterzwangs, Verbesserung bei der Fortbildung, Arbeitsassistenz in bestehenden Betrieben, verbesserte Sprachförderung in der Schule, mehr Teilzeitangebote, Integrationsangebote an ausländische Jugendliche, Ausbildungsabgabe.

Die meisten dieser Vorschläge sind am Widerstand der Wirtschaft gescheitert, wurden verwässert und bekämpft. Jetzt sollen Menschen gezwungen werden, jede Arbeit anzunehmen, um nicht zu verhungern oder obdachlos zu werden. Mit einer staatlichen Sozialpolitik hat das nichts zu tun.

Karoline Linnert, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Grüne in der Bremer Bürgerschaft