fernöstlicher diwan
: Vom Warten und dem Sinn desselben

Jägerlatein

Jagen gehen, zwischen den Spielen, das ist der Plan. Warum auch nicht, absurder und öder als diese WM kann das nicht sein – und das Warten auf das nächste Spiel ist mit Inhalt gefüllt. Also ab in die Uckermark. Kurz nach Hammelspring kehren wir zunächst im Gasthof „Zum Keiler“ ein. Mein Freund, der erfahrene Jäger und Planer, hatte diesen Ort, eine Stunde nördlich von Berlin gelegen, ausgesucht, um schnell noch das Spiel Deutschland–USA mitzunehmen. Merkwürdig teilnahmslos verfolgen die paar, die sich mit uns eingefunden haben, die Partie. Andere Länder, andere Sitten, einheitlich wird Lungenhaschee vom Wildschwein serviert. Der ruhigste Geselle, der am Tresen, verzichtet auf das Mahl und begnügt sich mit einer 50:50-Mischung aus Korn und Sprite, im Weizenglas gereicht.

Stunden später, das trübe Spiel und die letzten spärlichen Reste der Zivilisation in Form von angegrautem Sandsteinputz haben wir hinter uns gelassen, stehen wir am Rande eines Kiefernwaldes in einem Hochsitz und warten. Wir warten auf den Rehbock, der, sollte alles günstig für uns, ungünstig für ihn verlaufen, die sumpfige Wiese vor uns aufsuchen wird und totzumachen ist. Also warten wir. Langsam wird es dunkel. Ein fast runder Mond liegt über der Landschaft, ein leichter Nebelschleier breitet sich über den Boden gemächlich aus. Ein Kranich trompetet, ein Frosch quakt, ein Specht klopft. Langsam gewöhnen sich die Augen an die sommerliche Dunkelheit. Konzentriert lauschen wir, wie sich nach und nach eine Stille ausbreitet. Und schweigt nicht kongenial der Drilling, der neben uns parkt? Wir hören die Mäuse durch das Dickicht wandern. Hinter uns, im Wald, ein Knacksen – der Rehbock?

Mein Freund nickt. Eine Stunde hören wir in unseren Rücken hinein, gleichzeitig schauen wir angestrengt nach vorne, versuchen jede Bewegung zu vermeiden, immer auf der Suche nach den Schemen, die für das Ganze, den Bock, stehen. Ab und an knackst es hinter uns, mal von links, mal von rechts, doch unser Tier ist ein kluges, raus aus dem Unterholz kommt es nicht. Schließlich packen wir unsere Sachen und ziehen um; zu einem Hochsitz, der mitten in einer Feld- und Wiesenlandschaft platziert ist. Denn nachts kommen die Wildschweine. Der Mond mittlerweile prachtvoll, ganz weit oben ausgestellt, setzt das passende Licht, um in neuer Umgebung zu spähen. Würden sie kommen, die gefräßigen Schweine, diese Allesfresser, angelockt vom Raps, Kohl und Mais, der auf der Äsungsfläche vor uns gesät und gestreut war? Warten.

Um kurz vor zwei ein kurzes Rascheln, und einen Tick später, wie herbeigezaubert, da sind sie dann da. Eine ganze Rotte, acht an der Zahl, steht im Acker, der ein Köder ist. Zufrieden grunzen sie und wühlen mit ihren Schnauzen im Boden. Das kann man, trotz Mond, nur ahnen, durch das Fernglas sehen sie eher aus wie Affen in einem surrealen Streifen, aus einem dieser Filme, der auf Unschärfe setzt. Ein schönes Bild, ein Bild für die Ewigkeit. Der Mann neben mir bringt den Drilling in Anschlag und sagt trocken, der Zweite von links, der ist es. Und klick macht es. Kein Schuss, nur klick, die Schweine halten kurz inne und machen dann weiter. Noch einmal, Anschlag – klick.

HENNING HARNISCHS WM

Mein Team: Deutschland. Mit niemandem sonst lässt sich so schön warten.

Mein Spieler: Ronaldinho. Antipode. Romantiker. Sucht den schönen Augenblick. Fand ihn gegen England und machte mich einen Augenblick lang glücklich.

Mein Weltmeister: Südkorea. Passt nicht, macht deshalb Sinn.

Diesmal laufen die Tiere, sie laufen zurück ins Dickicht, grunzend springen sie ab, wie der Jäger sagt. Die Sicherung klemmt, das ist mir noch nie passiert, sagt frustriert die Stimme neben mir. Ich bin bei den Schweinen, in Gedanken, diese glücklichen Viecher. Vielleicht kommen sie zurück, spricht es neben mir, lass uns weiter warten. Doch keine Wildschweine kommen mehr, stattdessen lässt sich im ersten Sonnenlicht eine Ricke blicken, die darf nicht geschossen werden; anmutig ist sie.

Stunden später, im menschenleeren See, nach zwei jämmerlichen Viertelfinals, da dämmert es mir. Erstens, jedes Warten hat seinen Sinn. Zweitens, jedes Ereignis braucht das Drumherum, das vorher und das nachher, sonst ist es keines. Denn, das Schöne an dieser Sorte von Ereignissen, das ist das Warten, so viel ist sicher. Und wenn das Ereignis sich anders darstellt als geplant, dann wird das Warten auf das Ereignis zum Ereignis. Jetzt warte ich also genau noch vier Jahre auf das nächste Ereignis, das auf den Namen Fußballweltmeisterschaft hört. Schöne Aussichten. HENNING HARNISCH