Surrealer Traum wird wahr

Mit seinem besten Spiel bei diesem Turnier und einem 1:0-Sieg gegen die heftig angefeuerten Gastgeber aus Südkorea zieht das deutsche Team ins Finale der Fußballweltmeisterschaft ein

aus Seoul FRANK KETTERER

Noch einmal wurde es laut im Wold Cup Stadium von Seoul, ohrenbetäubend laut. Die Helden hatten sich aufgerappelt, und sie waren bereit, ein letztes Mal die Huldigungen jener entgegenzunehmen, die sie in den zurückliegenden dreieinhalb Wochen so sehr in Verzückung versetzt hatten. Nun standen sie da im Mittelkreis, enttäuscht natürlich, müde und mit hängenden Köpfen, und doch brandeten noch einmal die Wogen der Begeisterung durch den roten, dampfenden Stadionkessel. Südkorea war am Ende seines Weges angekommen bei dieser WM – und trotzdem feierte das ganze Land seine Mannschaft. Und dazu sagte Guus Hiddink, der holländische Trainer: „Wir können stolz auf dieses Mannschaft sein.“

Dass nun ausgerechnet die deutsche Mannschaft die Roten Teufel aus dem Rennen warf und schaffte, was Portugal, Italien und Spanien nicht gelang, mag schon deshalb etwas heißen, eine ganze Menge sogar. Oder anders gesagt: Deutschland zeigte im Halbfinale seine bisher beste Leistung bei diesem Turnier und siegte nicht unverdient mit 1:0. „Wir haben nicht immer so gut gespielt wie heute, aber wir haben einen tollen Teamgeist und immer an uns geglaubt“, sagte Rudi Völler zum Erreichen des Finales. Und auch aus seinen Worten klang, ähnlich wie beim Kollegen Hiddink, jede Menge Stolz.

Deutschland hat es also tatsächlich geschafft – und zumindest wenn man dieses Halbfinalspiel gegen Südkorea als Maßstab nimmt, ist das Mitwirken am Sonntag in Yokohama keineswegs unverdient. Die deutsche Mannschaft zeigte im Hexenkessel von Seoul, in dem nicht nur 65.000 Südkoreaner ihre Mannschaft anfeuerten, sondern die Seele eines ganzen Volkes, eine in allen Bereichen starke Leistung, die der Mannschaft in dieser Form kaum einer zugetraut hatte. So war Carsten Ramelow umsichtiger Chef einer stabilen Viererkette, Didi Hamann als Antreiber im defensiven Mittelfeld an Effektivität kaum zu übertreffen, Michael Ballack ein umsichtiger Spielmacher, Oliver Neuville, der viel über außen kam, stets ein Gefahrenquell, während Marco Bode vor Dynamik nur so strotzte. Und alle zusammen waren sie in der Hitze des Gefechts unglaublich clever, cool, abgezockt beinahe, ohne diesmal das Wesentliche zu vergessen: Fußball zu spielen. Oder, zusammengefasst: Die Mannschaft ist an diesem Abend tatsächlich, wie von Keeper Oliver Kahn im Vorfeld gefordert, explodiert – und den Knall hat man bis nach Yokohama gehört, wo am Sonntag Brasilien oder die Türkei der Gegner ist.

„Wir haben nicht nur kämpferisch alles gegeben, sondern auch Fußball gespielt“, stellte die Defensivfachkraft Christoph Metzelder kurz nach Schlusspfiff fest, und auch Abwehrkollege Carsten Ramelow strich heraus, dass wir „heute ein gutes Spiel gezeigt haben“. Dass solche bei dieser WM beileibe nicht zum Standardrepertoire der DFB-Kicker gehörten, spielte zumindest an diesem Abend keine Rolle. Dafür hatte die Mannschaft diesmal zu Vieles richtig gemacht, was gegen diese südkoreanische Mannschaft so leicht nicht ist. „In diesem Hexenkessel muss man erst mal gegenhalten“, betonte auch Ramelow, „das haben wir getan.“

Die DFB-Kicker hatten schon in der ersten Halbzeit nicht nur mehr vom Ball (nämlich 54 Prozent Besitz), sondern auch ein Plus an Chancen. Oliver Kahn wurde nur einmal richtig geprüft, den gezwirbelten Schuss von Cha Du Ri in der 7. Minute parierte er aber in gewohnter Manier. Zwar nahm der Druck der wie immer bei diesem Turnier nie aufsteckenden Koreaner im zweiten Durchgang etwas zu, kirre machen aber ließen sich Völlers Mannen selbst davon nicht. Und als sich in der 74. Minute Oliver Neuville auf der rechten Seite auf die Grundlinie durchgeackert hatte, um von dort nach innen zu passen und somit auf seinen heranstürmenden Kollegen Michael Ballack, beförderte der die deutsche Mannschaft mit dem Siegtreffer nicht nur ins Finale, sondern sich selbst zum tragischen Helden dieser Partie. Denn wegen der zweiten gelben Karte ist ihm am Sonntag die Teilnahme am Finale verwehrt. „Die Koreaner waren da in Überzahl und hätten in dieser Situation ein Tor machen können. Deshalb musste ich eingreifen“, erklärte Ballack später sein Foulspiel. „Für mich ist der Traum vom Finale leider geplatzt. Das ist das Bitterste, was einem Fußballer passieren kann“, merkte ein geknickter Michael Ballack an. Es war an diesem Abend das einzig Traurige, was es über den deutschen Fußball zu sagen gab.

Deutschland: Kahn - Frings, Linke, Ramelow, Metzelder - Schneider (85. Jeremies), Hamann, Ballack, Bode - Neuville (88. Asamoah), Klose (70. Bierhoff)Südkorea: Jae-Woon Lee - Jin-Cheul Choi (56. Min-Sung Lee), Hong (80. Seol), Tae-Young Kim - Song, Park, Yoo, Young-Pyo Lee - Cha, Hwang (54. Ahn), Chun-Soo LeeSchiedsrichter: Meier (Schweiz)Zuschauer: 65.256Tor: 1:0 Ballack (75.)