Vier Tode pro Woche

Seitdem 1999 im Kosovo zwei „Stern“-Reporter umkamen, schult die Bundeswehr in Hammelburg Journalisten für den Einsatz in Krisengebieten. Nach einer Woche Basistraining ist klar: „Mich wird es schon nicht treffen“ – diese Einstellung gibt es nicht

aus HammelburgJOHANNES KEIENBURG

9 mm sind ein ziemlich gutes Argument. Wenn das kühle Metall einer Pistole auf den Nacken drückt, wenn die Hände hinter dem Rücken gefesselt und die Augen verbunden sind, dann werden Worte wirkungslos. Der Mann mit der Maske zählt bis drei und drückt ab. Journalist Kilian Kirchgessner zuckt zusammen – es ist sein vierter Tod in dieser Woche. „Übungsende“, schreit ein Oberfeldwebel der Bundeswehr und zieht sich die Maske vom Kopf. Die Geiselnahme ist vorbei. Endlich.

„Journalisten sind für die Kriegsparteien eine Art Freiwild“, sagt Oberstleutnant Josef Taubeneder. „Und es gehört zu den Aufgaben der Bundeswehr, sie zu beschützen. Je besser sie ausgebildet sind, desto einfacher ist das für uns.“ Weil Reporter mit Worten kämpfen und nicht mit Gewehren, bekommen sie im fränkischen Hammelburg ein bisschen Schützenhilfe. Nach einer Woche Basisausbildung sollen sie einiges gelernt haben – über betrunkene Geiselnehmer zum Beispiel, über Minen in Toiletten und Heckenschützen in Kirchtürmen. Vor allem aber wird eines klar: „Mich wird es schon nicht treffen“ – diese Einstellung gibt es nicht. Wer aus Kriegsgebieten berichtet, der wird ständig vom Tod begleitet.

Warnzeichen

Im Krieg gibt es keine Scham, egal ob Männer oder Frauen – sie alle pinkeln auf die Straße. Jedes Gebüsch, jede Wiese kann zum Grab werden. „Ein falscher Tritt auf eine Mine – und bumm!“, sagt Oberfeldwebel Marco Döll ganz prosaisch. Warnzeichen für Minen gibt es genug: Ein orangefarbenes Fähnchen, eine Coladose auf einem Stock oder einfach nur ein Häufchen Äste – sie alle können den Weg in den Tod markieren. „Wenn Sie das sehen und noch leben, haben Sie schon einiges richtig gemacht“, lobt Döll.

Doch Journalisten lassen sich nicht abhalten. Wo scharf geschossen wird, da präsentieren Fernsehsender dem Zuschauer „Unseren Mann vor Ort“. Kriegs- und Krisenreporter sehen sich als unbestechliche Zeugen der Wahrheit. Aber oft genug verbirgt sich hinter dem Label des Aufklärers auch etwas ganz anderes. „Kindereien und Eitelkeiten“, nennt das Thomas Morawski, Krisenreporter des Bayerischen Rundfunks.

Über 600 Journalisten sind in den vergangenen zehn Jahren im Einsatz ums Leben gekommen. Zwei von ihnen waren die beiden Stern-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer. Am ersten Tag des Nato-Einmarsches ins Kosovo im Juni 1999 wurden sie erschossen. Das war der Auslöser, seitdem werden in Hammelburg auch Journalisten ausgebildet. Erst kürzlich nahm ein Team von ARD und ZDF am Kurs teil.

Für die Manöver der Bundeswehr wurde unweit der Kaserne in den 60er-Jahren ein kleines Bauerndorf ausgesiedelt. „Übungsdorf Bonnland“ steht auf dem Ortsschild geschrieben. Bonnland ist Afghanistan, Kosovo und Mazedonien zugleich. UN-Soldaten der Bundeswehr kontrollieren Statisten mit langen Bärten. Durch die Gassen schallt orientalische Musik, dazu knattern die Bundeswehr-MGs im Takt – Bonnland wirkt ein bisschen wie ein ziemlich schlechter Kriegsfilm.

Fehlanzeige

Später im Wald rennt ein Journalist in seinen fünften Stolperdraht. Eine Handgranate explodiert, roter Rauch umnebelt die Gruppe. „Können wir jetzt bitte gehen“, sagt der eben erneut Verstorbene und dreht sich zur Seite. Doch da wartet schon die nächste Handgranate. Der Draht löst sich, 21, 22 – nichts: Fehlanzeige, keine Explosion, kein roter Rauch, der Ausbilder ist sauer: „Schnee kann schmelzen, du kannst nichts“, mault er den zuständigen Wehrdienstleistenden an. Im Laufe der Woche werden noch verunglückte UN-Soldaten aus Minenfeldern geborgen, abgerissene Beine gesucht und offene Brüche verarztet. „Sie können auch daheim bleiben und über den Bau der neuen Staatsstraße berichten“, sagt Hauptfeldwebel Georg Hof.

Nach all den Leichen läuft abends in der Kaserne dann die WM-Zusammenfassung, Soldaten trinken Bier im Freien und stoßen an aufs Vaterland. Das ferne Bombengetöse wiegt sanft in den Schlaf. Und eine beruhigende Gewissheit macht sich breit: Die nächste Staatsstraße kommt bestimmt.