Reden in den Rockies

Nie wieder Genua: Der Gipfel der führenden Industrienationen findet diesmal weitab von möglichen Protesten statt

von KATHARINA KOUFEN

Wussten Sie vor einem Jahr, wo Doha liegt? Nein? Heute wissen Sie es wahrscheinlich, weil dort im letzten Herbst die Welthandelsorganisation tagte. Wissen Sie, wo Kananaskis liegt? Keine Sorge, bald wird Ihnen der Name geläufig sein. Denn in Kananaskis findet ab heute das Treffen der Staats- und Regierungschefs der G 8 statt. Mitten in den kanadischen Rocky Mountains, wo normalerweise 462 Seelen leben und im Sommer der Wanderer, im Winter der Skifahrer harren.

Normalerweise. Heute und morgen jedoch logieren hier die Präsidenten und Premierminister aus den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Russland. Bescheiden diesmal – nur etwa 25 Begleiter hat sich jeder der acht Politiker mitgebracht. Der Rückzug in die Berge wurde angetreten, nachdem letztes Jahr beim G-8-Gipfel in Genua hunderttausend Demonstranten und mehr als 15.000 Polizisten die Hafenstadt lahm legten. Ein Toter, 500 Verletzte, 200 Festnahmen und Sachschäden in dreistelliger Millionenhöhe waren die Folge.

Sicherheit & Konjunktur

Dieses Jahr wären die hohen Politiker froh, wenn ihre Sicherheitssorgen sich auf randalierende Anarchisten beschränken würden. Auf der Tagesordnung stehen jedoch Sicherheitsmaßnahmen, die durchzuführen weit schwieriger sein wird als die Absperrung der Altstadt von Genua.

Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus wollen die G-8-Teilnehmer die Sicherheit im Flug- und Schiffsverkehr erhöhen. Ein Problem etwa besteht darin, dass weltweit alle Container gleich aussehen, man also nicht erkennt, ob Bananen oder Sprengköpfe geladen sind. Zum Thema Sicherheit gehört auch die Sperrung von Konten, die womöglich der Finanzierung von Terroranschlägen dienen. In Deutschland seien seit dem 11. September bereits 162 Konten gesperrt worden, hieß es dazu aus Berliner Regierungskreisen.

Wie üblich auf den einmal im Jahr stattfindenden Treffen der G 8 wird es auch um die Lage der Weltwirtschaft gehen. Obgleich Deutschland nach Japan das Land mit dem schwächsten Wachstum ist, verbreitet die deutsche Delegation Optimismus: Deutschland steht laut Bundesregierung „am Anfang des Aufschwungs“ – wie übrigens schon seit vielen Wochen und gewiss noch bis zum Wahltermin.

Initiativen der anderen Teilnehmer, mehr für die Konjunktur zu tun und etwa die Zinsen zu senken, werden nicht erwartet. Das widerspräche aber auch dem Stil solcher Gipfel. Der nämlich beruht auf Harmonie. Das gilt auch für das Thema Handelspolitik (siehe unten). Mehr als unverbindliche Selbstermahnungen à la „Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung…“ sind nicht zu erwarten.

Auch über Umweltfragen wollen die Staats- und Regierungschefs sprechen, schließlich ruft in zwei Monaten der nächste Gipfel in Johannesburg – und dessen Themen sind Umwelt und nachhaltige Entwicklung. „Wir erwarten eine Aussprache zum Kioto-Protokoll“, hieß es vorab aus Regierungskreisen. Dieses Protokoll, mit dem der Ausstoß schädlicher Klimagase gesenkt werden soll, muss von 55 Ländern ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Diese müssen zusammen für 55 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen wie CO2 verantwortlich sein. Bislang ist das Kioto-Protokoll nicht von den USA ratifiziert worden. Nun hoffen die EU-Staaten auf andere große Länder, etwa Russland.

Afrika & Nahost

Im Mittelpunkt des Gipfels soll jedoch der „Afrika-Aktionsplan“ stehen, den die G 8 in Genua angekündigt haben (siehe Seiten 5 und 6). Zwischendurch werden die mächtigen acht immer wieder über aktuelle Krisenherde sprechen: über den Kaschmir-Konflikt und die „nukleare Sicherheit“ etwa; über Afghanistan, die Zerschlagung der al-Qaida und mögliche Terroranschläge. Und über den Krieg zwischen Israel und Palästina. Nachdem Bush am Montagabend seine mehrmals verschobene Rede zur Lage in Nahost gehalten hat, werden seine Vorschläge – darunter die Ablösung von Palästinenserführer Jassir Arafat – gewiss für Debatten sorgen.