Eine Schule in Ketten

250 Grundschullehrer aus Ostberlin sollen im kommenden Schuljahr an Westschulen versetzt werden. Eltern und Rektoren sind empört, weil dafür Fachlehrer verloren gehen. Gestern wurde eine Schule in Schöneberg blockiert

Jana und Peter Hallberg sind schwer verärgert: Ihr 7-jähriger Sohn Julian hat bald sein erstes Jahr an der Werbellinsee-Grundschule in Schöneberg absolviert. Der Kleine hat viel Spaß am Unterricht bei seiner Klassenlehrerin Gabriela Friedrich. Doch nach den Sommerferien soll Frau Friedrich nach Willen der Schulverwaltung ihren Arbeitsplatz wechseln. „Wir sind ungemein besorgt“, sagt der Vater Hallberg. „Es ist doch unverantwortlich, so jungen Schülern eine mühevoll aufgebaute Vertrauensperson wegzunehmen.“

Gestern haben deshalb Schüler und Eltern der 1 b vor der Werbellinsee-Schule für den Verbleib ihrer Lehrerin demonstriert. Mit Ketten wurden kurzzeitig die Schultüren abgesperrt und auf Transparenten („Frau Friedrich muss bleiben!“) wurde gegen die Pläne der Schulverwaltung protestiert. Durch den Lehrerwechsel werde sich der Unterrichtsstil in der jetzigen Klasse 1 b ändern, fürchten die Eltern der insgesamt 29 Schüler. Dadurch werde die Entwicklung ihrer Kinder gefährdet. „Was soll ich in meiner Heimat über das Berliner Schulsystem berichten?“, fragt sich der gebürtige Schwede Peter Hallberg. „Trotz des schlechten Abschneidens der Deutschen in der Pisa-Studie wird nichts unternommen, um die Situation zu verbessern. Ganz im Gegenteil, gute Fachkräfte wie Frau Friedrich werden einfach abgezogen.“

Grund für die Umsetzung der Klassenlehrerin ist der Mangel an qualifizierten Lehrern für Berlins höhere Schuljahrgänge. Gut 250 Grundschullehrer aus den zusehends kinderärmer werdenden Ostbezirken sollen an Schulen im Westteil der Stadt. Die dadurch dort frei werdenen Lehrer werden dann in höheren Klassenstufen oder gleich an Oberschulen eingesetzt. In der ehemaligen DDR ausgebildete Grundschullehrer dürfen nur in den Klassenstufen 1 bis 4 unterrichten, die in der Bundesrepublik ausgebildeten sind hingegen für das Lehren bis in die 10. Klasse qualifiziert.

„Solche Umsetzungen sind Routine“, erläutert der Sprecher der Schulverwaltung Thomas John, „in den letzten 10 Jahren haben wir rund 10.000 Lehrer umgesetzt.“ Das Schulamt ermittle, wo Bedarf nach welchen Lehrkräften bestehe, und handle dementsprechend.

Die betroffene Lehrerin Gabriela Friedrich jedoch findet ihre Umsetzung „pädagogisch völlig widersinnig“. Es sei schlecht für die Kinder, den üblicherweise zwei Jahre dauernden Lese-Lern-Prozess abrupt zu unterbrechen.“ Besonders den Migrantenkindern mit schlechteren Deutschkenntnissen würde so geschadet. Versetzt werden soll sie wegen ihrer Lateinkenntnisse. „Dabei habe ich seit 15 Jahren kein Latein mehr unterrichtet“, klagt Friedrich. „Ich soll hier, wo ich gut arbeite, weg und woanders etwas tun, wofür ich mich kaum mehr gerüstet fühle.“ Auch Schulleiterin Ellen Hansen will nicht auf ihre Kollegin verzichten. „Sie leistet hervorragende Arbeit und ist auch in der Schulleitung tätig“, lobt die Rektorin. Karl Pentzliehn, Leiter des Gustav-Heinemann-Gymnasiums (hier soll Friedrich künftig arbeiten) kann die Verärgerung in der Werbellinsee-Schule verstehen. „Wenn uns die etablierten Fachkräfte weggenommen werden würden, dann wären wir auch nicht begeistert.“ Gabriela Friedrich habe bei ihrem ersten Besuch zwar einen guten Eindruck hinterlassen, er wäre aber auch mit einer anderen Lehrkraft für Latein einverstanden.

Im Anschluss an die Protestaktion an der Werbellinsee-Schule versammelten sich Eltern und Schüler der 1 b gestern vor der Schulverwaltung und überreichten eine Protestnote an Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall. Zur Freude der Anwesenden sagte dieser zu, Alternativen zur Umsetzung von Friedrich prüfen zu lassen. CHRISTOPH SCHULZE