Singapur wartet schon

Für die Kunst-Werke und das Podewil gab es Entwarnung, doch mit seinen Sparmaßnahmen am Künstlerhaus Bethanien meint es Kultursenator Thomas Flierl ernst. Wie aber soll das Haus mit seinem internationalen Atelierprogramm klarkommen, wenn am Freitag der Senat die Kürzungen beschließt?

von HARALD FRICKE

Thomas Flierl ist ein mutiger, ein unerschrockener Mann, der niemals Konflikte scheut. Wenn der Kultursenator aus den Reihen der PDS in seinem Ressort Gelder streichen muss, dann geht er nüchtern zur Sache, denkt genau nach, welche Institution es beim Sparen treffen soll, und tritt den vermeintlichen Opfern machtvoll entgegen. Zum Beispiel im Künstlerhaus Bethanien. Dort hat Flierl im April eine Rede zur Eröffnung mehrerer Atelierausstellungen gehalten, bei der er dem Podewil und den Kunst-Werken eine weitreichende Rücknahme der über sie verhängten Etatkürzungen zusagte.

Nur der Gastgeber, das Bethanien selbst, ging leer aus, die Sparmaßnahmen wurden sogar noch einmal kühl bestätigt. Denn für Flierl hat sich das Haus vom ursprünglichen Konzept, ein Veranstaltungsort für die freie Szene zu sein, längst verabschiedet; außerdem fehle es unter den jetzigen Bedingungen dort an einer kulturellen Nutzung „mit überregionaler Ausstrahlung“. Weil im Bethanien aber seit einiger Zeit nur noch Atelierprogramme durchgeführt würden, brauche man auch keine neun Angestellten im Mitarbeiterstab mehr, sagte Flierl fast triumphierend gegen Ende seiner Rede: „Wir halten daher die Einsparungen von 50.000 Euro für verkraftbar und sehen selbst noch Reserven zur Umschichtung im Programmetat.“

Damit allerdings hat sich Flierl weit vorgewagt, fast könnte man seine Aussagen auch als einen Aufruf zur langsamen Abwicklung lesen. Wenn am Freitag der Doppelhaushalt 2002/2003 verabschiedet wird, dürfte das Bethanien keine guten Karten haben. Zwar wurden die Kürzungen von 48.000 Euro, die bereits dieses Jahr drohen, noch einmal mündlich zurückgenommen. Schriftlich gibt es dazu keine Stellungnahme Flierls, der die Sitzung am Freitag abwartet. Für das kommende Jahr indes sind die Vorgaben klar: 50.000 Euro für Personal weniger.

Dabei hat Flierl zumindest bei seinen Vorwürfen einige Fakten unterschlagen. Tatsächlich erhält das Künstlerhaus Bethanien bereits seit 1994 keinerlei öffentliche Programmmittel. Weil es an solchen Finanzierungsmöglichkeiten fehlt, bleibt die Arbeit des Hauses immer stärker darauf beschränkt, Ateliers für den internationalen Austausch zur Verfügung zu stellen – für mehr eigene Ausstellungen ist das Geld schlicht zu knapp. Allein der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kommt noch für Festkosten von einer Million Euro im Jahr auf, die durch Mieten, Strom, Heizung und Wasser entstehen.

Die Ateliers wiederum werden von Ländern finanziert, die Künstler nach Berlin schicken, das reicht von den Niederlanden und Norwegen bis Australien und USA. Im Gegenzug stellt das Künstlerhaus Bethanien Geräte, Logistik, technisches Knowhow und eben entsprechendes Personal zur Verfügung, es sorgt zugleich für Kontakte in der Stadt und zu anderen Institutionen quer durch Europa. Insofern ist das Bethanien längst zu einem internationalen Dienstleister geworden, der im Grunde ganz nach Flierls Vorstellungen im Kulturbereich das Zukunftspotenzial Berlins verkörpert – immerhin nutzen jährlich über ein Dutzend Künstler und Künstlerinnen das Bethanien als Startbrett für eine Karriere in Germany. Das macht sich auch in mindestens zwei Stipendiaten-Ausstellungen pro Monat bemerkbar. Gleichzeitig kann das Bethanien aufgrund seiner Geldnot keine eigenen Kuratoren anstellen, die im Gegenzug Künstler für Berlin entdecken.

„Mittlerweile haben wir zu wenig Studios, um neuen Anfragen aus Singapur, Kanada oder Polen nachzukommen“, erklärt Christoph Tannert, der in Personalunion beim Bethanien die Geschäfte führt und für die künstlerische Projektleitung zuständig ist. Von diesen ökonomischen Notwendigkeiten auf ein mangelndes Interesse an der kulturellen Vernetzung zu schließen, hält er für einen Affront gegen das Haus. „Wir suchen ja weiterhin nach Kooperationen mit der freien Szene. Aber der Senat hat für eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen unserem Haus und anderen Veranstaltern überhaupt kein Konzept.“

Oder auch einfach kein Geld. Tannert dagegen kann zumindest nachweisen, dass die Künstler des Atelierprogramms sich international bewährt haben. Peter Robinson hat Neuseeland auf der letzten Biennale in Venedig vertreten, Antal Lakner war dort im ungarischen Pavillon ausgestellt, und zur diesjährigen Manifesta 4 in Frankfurt sind gleich vier Künstler eingeladen, die momentan ihre Ateliers im Bethanien haben. „Es ist ein Missverständnis, wenn man im Kultursenat unser Atelierprogramm für eine Jugendherberge hält“, meint Tannert nicht ohne Zorn, „das Haus ist eine Arbeitsstätte, die auch an Distribution interessiert ist.“ Deshalb gibt es das hauseigene BE-Magazin, das als Kunstzeitschrift weltweit verschickt wird, deshalb gibt es das Media Arts Lab, das jedes Jahr eine Netzkonferenz parallel zur Transmediale veranstaltet und alle drei Jahre einen Reader über die neuesten Entwicklungen der Internetkunst veröffentlicht.

All das wird nicht vom Senat finanziert, sondern über Sponsoren. Insgesamt sind es 350.000 Euro jährlich, die Tannert über private Geldgeber ins Haus holt. Mit der Philipp Morris Kulturförderung gibt es ein festes Stipendienprogramm, ansonsten muss er sehen, „kriege ich etwas von Schering oder von RWE“. Dabei ärgert er sich über die Gleichgültigkeit, mit der der Senat über solche Aktivitäten hinwegsieht: „In den USA bekommst du für jeden Dollar, den du über Sponsoring reinholst, einen Dollar staatlichen Zuschuss. In Berlin kann ich 350.000 Euro für das Bethanien auftreiben – und erhalte nichts dazu. Stattdessen wird an den Löhnen geschnitten.“

Die 50.000 Euro, die der Senat beim Künstlerhaus Bethanien streichen will, entsprechen zwei von neun Stellen. Bei dieser personellen Einschrumpfung wird es noch schwerer, das Atelierprogramm am Laufen zu halten – zumal Kunst heute oft mit Medien arbeitet, mit einem aufwändigen Gerätepark, für den es Spezialisten braucht. Das merkt man auch in der aktuellen Ausstellung mit computerscharf geschnittenen Sample-Videos des schwedischen Duos Gunilla Klingberg/Peter Geschwind, die über das Iaspis-Stipendium nach Berlin gekommen sind. Vielleicht sollte sich Flierl das nächste Mal mit den High-Tech-Schweden unterhalten, bevor er dem Bethanien attestiert, den internationalen Anschluss verschlafen zu haben. Noch kann er kommen, noch ist das Bethanien ja für Kontakte da.