Blutopfer für die Politik

Keine Pose des Forderns, sondern eine Geste des Gebens soll es sein: das Benefiz-Blutspenden für die Bankgesellschaft Berlin. Oder: der angekündigte Versuch, die Wirtschaft durch die Kultur zu retten

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Während hüben die Zahlen rollen, fließt drüben Blut. Heute wollen die Parlamentarier von Regierung und Opposition im Abgeordnetenhaus um den löchrigen Berliner Haushalt streiten. Gegenüber, im Martin-Gropius-Bau, wollen Kunstschaffende ein Blutopfer darbringen. Hüben wird etwas weggenommen, drüben wird es wieder in den Kreislauf hineingegeben. „Einen medizinisch-politischen Vorgang“ nennt es Roland Brus, Regisseur und bildender Künstler. Gemeinsam mit dem performativen Künstler Detlev Schneider kam Brus beim Kaffeetrinken auf die Idee, den offensichtlich gestörten Berliner „Stoffwechsel“ durch Frischkulturzufuhr zu kurieren. „Erste Hilfe in schwerer Zeit“ wollen die beiden nun gemeinsam mit dem „Rat für die Künste in Berlin“ und der Charité leisten. Und zwar ausgerechnet der angeschlagenen Bankgesellschaft.

Deren „desaströser Zustand“ werde den Kunstschaffenden der Stadt als Grund genannt, warum man sie zu „schmerzhaften Sparzwängen“ nötige. Ebendiese Schmerzen wolle man mit den Politikern und Verwaltern des Elends teilen, sagen die Kuratoren. Um dem Ganzen die zweifelsfrei ironische Spitze zu nehmen, verweisen die medizinisch-politischen Akteure auf den kleinen Unterschied. Ihre Aktion sei „auf gar keinen Fall Protest“. Kein Echauffieren über die Finanznot und die ungerechte Haftbarmachung der gesamten Stadt für die Fehler der Vergangenheit. Die Aktion sei lediglich „politische Anamnese“. Zudem keine Pose des Jammerns und Forderns, sondern eine des Gebens.

In der Tat, es wird unübersehbar sein, dass die vorbeischauende Öffentlichkeit im Atrium des Jugendstilbaus pure Eigenressourcen spendet. Und zwar in Form von Blut oder Trost. An zehn mobilen Blutspendestationen kann der Lebenssaft abgelassen werden. Betreut werden die Spender von professionellen Transfusionsmedizinern der Charité. Deren Chef, Prof. Holger Kiesewetter, wird zum Auftakt einen Vortrag über den Kreislauf von Blut an sich halten, also Teil der Kunst werden.

Wie Roland Brus berichtet, war die Charité spontan von der Sinnhaftigkeit der Idee überzeugt. Denn bei der heutigen Aktion erhält das Krankenhaus dringend benötigte Blutkonserven und die Bank dringend benötigtes Kapital. Weniger einleuchtend fand das Rote Kreuz den beiderseitigen Rettungsgedanken. Als die Initiatoren anfragten, hieß es, die Organisation, die im Krieg stets die Verwundeten versorgt, tue sich schwer mit Blut und Politik.

Wer heute für die Bankgesellschaft kein Blut vergießen möchte, kann auch als Trostspender bei den Angezapften verweilen. Für die eine oder andere Spendenform haben sich schon über 100 Personen angemeldet: Schüler aus Ahrensfelde, Exkultursenatorin Adrienne Goehler, der Maler Johannes Heisig, Theatermacher Thomas Ostermeier und zahlreiche Normalspender. Ob die Bank die 20 Euro je Blutspende als Kapitalspritze zur Revitalisierung annimmt, war bis Redaktionsschluss noch nicht geklärt.