Dae-ha-min-guk! Dae-ha-min-guk! Dae-ha-min-guk!

Die Angst vor der Invasion der roten Armee in Japan ist vorbei. Die Völker verständigen sich – dem DFB-Team und seinem Finaleinzug sei Dank

EBISU taz ■ In der Sportsbar „Footnick“ in Ebisu lässt sich allein an den Hemden erkennen, wer zu welchem Lager gehört. Das spielt aber keine Rolle. Die in den roten Trikots haben sich an diesem Abend mit den Weißen vereint. Nachdem Michael Ballack die Kugel im Nachsetzen im koreanischen Netz versenkt hat, bläst ein Trompeter für die DFB-Elf zum Kampf. Zuvor hatte er noch bei jedem Angriffsversuch der „Red Devils“ trompetet. Japan und Deutschland haben gemeinsam gewonnen, obwohl kein einziger Deutscher am Abend des Halbfinales ein Bier in diesem Laden bestellt hat.

Die Deutschen sind hier traditionell gern gesehen, aber wohl selten im Verlauf der wirtschaftlichen, kulturellen und eine Zeit lang ja durchaus auch unheilvollen Beziehungen war Nippon den alten Freunden gegenüber so dankbar wie in jener Nacht, da Ballack für den DFB die Reise nach Yokohama buchte. Es hätte ja auch zur Invasion der roten Armee und einer Luftbrücke zwischen Seoul und den Flughäfen Narita und Haneda kommen können, und solch eine koreanische Party hätte die übers Turnier hinweg sorgfältig gepflegte Harmonie der Organisationspartner doch arg strapaziert.

Über die große Erleichterung des japanischen Fußballherzens und seine Anhänglichkeit den Gaijins aus „Deutska“ gegenüber steht nichts in den Zeitungen. Kein böses Wort an die Adresse des Mitveranstalters, über Südkorea darf nichts Negatives geschrieben oder offiziell gesagt werden. Seit die Fifa vor sechs Jahren diese WM-Hochzeit diktiert hatte, haben die Zwangsvermählten zwar um das Recht auf Eröffnungs- und Endspiel gestritten oder darüber, welcher Ländername zuerst auf den Eintrittskarten stehen durfte. Doch nachdem diese Entscheidungen dann ebenfalls aus Zürich angeordnet worden waren, hat sich der japanische Teil des Organisationskomitees stets schwer zurückgehalten; selbst wenn es manchmal den Eindruck erweckte, als ob diese erste WM in Asien ganz allein Dr. Mong-Jong Chung, dem Juniorchef von Südkoreas bekanntestem Industrieimperium Hyundai, gehöre. Es bleibt abzuwarten, in welcher Weise der Fifa-Vizepräsident den sportlichen Triumphzug der „Roten Teufel“ zur persönlichen Propaganda nutzt, wenn er einst als Präsident eines vereinigten Korea kandidieren will. Dies ist sein Lebensplan, und dabei hat ihm der Fußball stets geholfen.

Unter jenem „Mister Korea“ haben die Japaner besonders gelitten. Trotz all der gemeinsam inszenierten Auftritte im Vorfeld und zuletzt im Rahmen der WM. Denn immer wieder drehte Chung seine Finger in der japanischen Wunde. In der historisch belasteten Vergangenheit der beiden Länder haben die japanischen Besatzer und Aggressoren über Jahrhunderte hinweg die Rolle des Bösen gespielt. Sie wehren sich bis heute, ihre Kriegsverbrechen anzuerkennen. Der schlimme Ruf und manchmal auch ihr schlechtes Gewissen verhindern so, dass die Japaner mit der ehemaligen Kolonie offen, geschweige denn offensiv umgehen können. Chung hat dieses Handicap des großen Nachbarn schon immer ganz bewusst ausgenutzt. Wahrscheinlich wären der südkoreanische Verband und dessen Vorsitzender vor neun Jahren auch gar nicht auf die Idee gekommen, eine WM auszurichten, wenn nicht der Lieblingsgegner zu diesem Kampf gereizt hätte.

Die japanische Angst, ausgerechnet diesen alerten Sportpolitiker, der sie so oft gekränkt und gedemütigt hat, am Sonntag, und womöglich sogar mit dem Weltpokal in der Hand, auf der Ehrentribüne neben der kaiserlichen Loge des Yokohama-Stadions Hof halten zu sehen, ist nun verflogen. Allerdings sollte man auch erwähnen, dass sich gerade im Verlauf dieser WM die Fußballanhänger beider Nationen einander angenähert haben. Hass gibt es vor allem noch zwischen Großvätern und Vätern. Ihr Nachwuchs geht viel unbefangener miteinander um.

Vorm Halbfinale zeigten junge Japaner deutschen Reportern den Weg ins koreanische Viertel Shin-Okubo am Rande des berüchtigten Rotlichtbezirks Kabuki-Cho. Auch diese Tokioter Jugendlichen wollten in koreanischen Kneipen Fernsehen gucken und vielleicht ein paar Späßchen machen. Für die deutschen Besucher rückten die in Rot gekleideten Koreaner noch enger zusammen, um wirklich die allerletzte Sitzmöglichkeit zu schaffen. Natürlich spielten sie bei jedem Angriff ihrer neuen Idole in Seoul vorm Fernseher mit, ihre Gastfreundschaft hörte auch mit der sportlichen Niederlage nicht auf. Nach dem Schlusspfiff gratulierte jeder im Lokal den deutschen Gästen. Dann wurden Kimchi und Sotcho gegessen und getrunken, das eingelegte Knoblauchkraut und der landesübliche Schnaps. Doch noch auffallender als die Freundlichkeit waren die Chöre, die immer wieder mal zwischen den dominierenden Anfeuerungsruf „Dae-ha-min-guk“ (Republik Korea) eingestreut wurden: „Nippon-Korea-Nippon-Korea“. Vielleicht ist Fußball doch noch viel mehr Völkerverständigung, als man es sich zu glauben traut. MARTIN HÄGELE