TROTZ PISA WIRD KEIN RUCK DURCH DIE BILDUNGSPOLITIK GEHEN
: Kein republikanischer Anspruch

Fogt auf den Schock der Ruck? Gibt es, über die Wahlkampfpolarisierung hinaus, angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studien eine politische Erschütterung, gefolgt von einem Reformschub? Und steht der Föderalismus in Sachen Schulpolitik vor eine Wende in Richtung Zentralismus?

Diese drei Fragen können mit einem klaren Nein beantwortet werden. Vergleicht man die politische Substanz der Vorschläge, die seitens der Regierung wie der Opposition gestern gemacht worden sind, so fällt zwar bei dem Kanzler und seiner Bildungsministerin der verschwenderische Gebrauch des Wörtchens „national“ ins Auge: „nationale Standards“, „nationale Tests“ „nationale Kraftanstrengung“. Aber auch Stoiber wie Schavan haben nichts gegen „länderübergreifende Vergleiche“ und „vergleichbare Bildungsstandards“. Auch sie wollen Lernziele destillieren und deren Einhaltung kontrollieren. Ob diese Kontrolle am Bildungsministerium des Bundes festgemacht wird, ist nicht so entscheidend. Schröders Vorwurf der „Schrebergartenmentalität“ an die Adresse CDU-regierter Länder ist nichts als Demagogie.

Stets hat sich in Deutschland die Klage über die Bildungsmisere an Leistungskriterien, an der Sorge um den Standort Deutschland festgemacht. Die Hochschulen standen im Fokus des Interesses. Aber „Pisa“ deckt einen ganz anderen Skandal auf, der mit dem föderativen System nicht ursächlich verbunden ist. „Pisa“ zeigt den Zusammenhang von Armut und schulischer Leistung, im Vergleich der Bundesländer erweist sie ferner, dass das Gebot der Gleichheit von Lebenschancen und Lebensverhältnissen in Deutschland nicht existiert.

Vor wenigen Tagen hat Wolf Lepenies beim Vergleich des französischen und des deutschen Schulsystems darauf hingewiesen, wie stark in Frankreich der republikanische Anspruch weiterwirkt, aus den Schülern durch eine angemessene Erziehung gebildete Bürger zu machen. Das aber setzt voraus, dass in der gesamten Gesellschaft Integrationsbemühungen für die Schwachen als Teil des demokratischen Engagements verstanden werden. Davon sind wir weit entfernt. CHRISTIAN SEMLER