Atomstrom jetzt auch auf EU-Ebene gut

Energiekommissarin stellt Abschlussbericht zum „Grünbuch Energie“ vor. Den AKWs werden neue Akzeptanz und wichtige Klimarolle bescheinigt

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Mehr als tausendmal pro Tag wurde seit November vorletzten Jahres die Internetseite angeklickt, auf der die EU-Kommission dazu auffordert, ihr „Grünbuch Energie“ zu diskutieren. 20.000 Exemplare des Grünbuchs und 100.000 Informationsbroschüren seien verteilt worden, berichtete die zuständige Kommissarin Loyola de Palacio gestern stolz. Vor allem Umweltgruppen und grüne Politiker hatten das Grünbuch heftig kritisiert, da es Atomkraft als Möglichkeit nennt, den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken und so die Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll einzuhalten.

Genützt hat alles Diskutieren nichts. Loyola de Palacio stellte gestern in Brüssel die Zusammenfassung der 18-monatigen Debatte vor. Darin heißt es, der Treibhauseffekt habe die Wahrnehmung der Energieversorgung verändert, besonders die der Atomenergie, da sie ermöglicht, „den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermeiden, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen“.

Greenpeace und Friends of the Earth Europe bezweifeln genau dies. In einem offenen Brief an Kommissionspräsident Prodi beklagen sie, dass keine Grundsatzdebatte über die Rolle der Atomkraft in der EU mit der Gesellschaft geführt worden sei. Die Zusammenfassung sei „keine seriöse Analyse, sondern nur eine mögliche Argumentationshilfe für die Nuklearlobby“.

Auch von den Grünen im Europaparlament hat Prodi deshalb Post bekommen. Bei den Klimaverhandlungen im vergangenen Jahr in Bonn hätten die EU-Umweltminister betont, dass nicht Atomenergie eingesetzt werden solle, um die Kioto-Verpflichtungen zu erfüllen. Die Pro-Atomkraft-Haltung der Energiekommissarin Palacio stehe zudem im Widerspruch zur für Umwelt zuständigen Kommissarin Margot Wallström. Claude Turmes, Energiesprecher der Grünen, und Daniel Cohn-Bendit bitten Prodi um „Aufklärung dieses Widerspruches“.

Loyola de Palacio versuchte gestern, ihren Kritikern den Wind zu nehmen. Man sei sich in der Kommission einig, dass die technologische Entwicklung vorangetrieben werden müsse, um den Einsatz erneuerbarer Energien weiter zu stärken. Ferner müsste das Energiesparen stärker gefördert werden. Konsens bestehe auch, dass ein strategischer Dialog mit den Produzentenländern gemeinschaftlich geführt werden müsse, um die Preisentwicklung bei Gas und Erdöl transparenter zu machen. Palacio räumte ein, dass die Zukunft der Kernenergie nicht von allen Mitgliedsländern und Kommissaren gleich gesehen werde. „Fakt ist, dass der Energiebedarf der EU jährlich um zwei Prozent steigt.“ Durch AKWs würden jährlich 320 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Palacio: „Das können weder erneuerbare Energien noch Sparmaßnahmen ausgleichen.“

Auf die hartnäckigen Fragen antwortete Palacio: „Es gibt Leute, die Werturteile mit Tatsachen verwechseln. Es ist doch positiv, den Kohlendioxid-Ausstoß zu mindern. Wir sollten auf moralische Werturteile verzichten, wenn es um Energie geht.“ Wenn Finnland beschließe, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, könne Brüssel da nicht hineinreden.

Einheitliche Sicherheitsstandards für AKWs müssten aber dringend eingeführt werden. „Es ist absurd, dass wir für Badewasser so strenge Grenzwerte haben, dass man es fast trinken kann, aber bei der Kernenergie bleibt der Sicherheitsaspekt außen vor“, sagte Palacio. Nach dem Sommer werde die Kommission ein Paket vorlegen, welche technischen Mindeststandards Kernkraftwerke erfüllen müssen und wie mit dem radioaktiven Abfall zu verfahren sei. Für die Kandidatenländer seien entsprechende Nachweise Vorbedingung, um in die EU aufgenommen zu werden. Es sei nur gerecht, wenn die Gemeinschaft für ihre alten Mitglieder die gleichen Sicherheitsstandards einführe wie für die Neulinge.