Die vier Brocken des Peter Hartz

Experten bezweifeln, dass sich die Arbeitslosenrate mit Zeitarbeit und legalisierter Schwarzarbeit, Sozialgeld und Dienstmädchenprivileg halbieren lässt

Zeitarbeit: Der „Klebeeffekt“

Mehr Leiharbeit führt zu mehr Jobs für Arbeitslose. So lautet der wichtigste Vorschlag, den die Hartz-Kommission ausgearbeitet hat. 780.000 Erwerbslose sollen dadurch bis Ende 2005 eine Stelle finden. Peter Hartz & Co. rechnen, dass 280.000 Menschen mit Hilfe der normalen Zeitarbeitsfirmen unterkommen, 500.000 weitere Jobs sollen die Personalservice-Agenturen schaffen, die den Arbeitsämtern angegliedert werden.

Rechnerisch liegen die angepeilten Größenordnungen im Bereich des Möglichen. In Deutschland sind 0,6 Prozent der Beschäftigten bei Zeitarbeitsfirmen tätig. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das wenig. Die Niederlande haben 4,5 Prozent Zeitarbeiter, Frankreich hat 2,5 Prozent. Bezogen auf die Gesamtzahl der Beschäftigten könnte 1 Prozent mehr Leiharbeit hierzulande etwa 500.000 Erwerbslose mit Jobs versorgen.

Dennoch warnt Claudia Weinkopf vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen: „Man darf die Größenordnung nicht überschätzen.“ Die Spezialistin für Zeitarbeit verweist auf ein Beispiel: Seit 1995 hat die nordrhein-westfälische Firma Start, an der unter anderem das Land und der Gewerkschaftsbund beteiligt sind, rund 13.500 Exarbeitslose an Privatunternehmen verliehen. 5.800 von ihnen vermittelte Start in eine Dauerstellung, etwa 800 pro Jahr. Mit über 34 Niederlassungen ist die öffentliche Verleiherfirma nahezu flächendeckend im Bundesland vertreten. Rechnet man den Vermittlungserfolg von Start hoch auf Bundesebene, würden etwa 4.000 Erwerbslose jährlich eine Anstellung finden – und nicht hunderttausende, wie die Hartz-Kommission prognostiziert.

Trotzdem ist die Leiharbeit ein wichtiges Instrument, das im gesellschaftlichen Trend liegt und bisher viel zu wenig genutzt wurde. Es lebt vom „Klebeeffekt“, wie Ulrich Walwei vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sagt. Soll heißen: Firmen lernen Jobsuchende als Leiharbeiter kennen, ohne sie gleich fest einstellen zu müssen. Nach einiger Zeit merkt der Chef, dass er den neuen Mitarbeiter ganz gut länger gebrauchen könnte. Der Vertrag wird verlängert – der ehemals Erwerbslose bleibt „kleben“. KOCH

„Ich-AG“: Billigfirma Familie

Was die Hartz-Kommission unter dem Stichwort „Ich-AG“ anbietet, ist ein „Experiment mit offenem Ausgang“. So sieht es Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch hier steht in den Sternen, ob wirklich 500.000 neue Jobs herauskommen.

„Die Zielsetzung der Ich-AG oder Familien-AG ist das Herausholen von heutigen Schwarzarbeitern in eine legale Beschäftigung“, heißt es in dem vorläufigen Papier von VW-Vorstand Peter Hartz. Diese Leute sollen ihre bisherige Schwarzbeschäftigung – putzen, renovieren, Autos reparieren – als Selbstständige ganz legal weiterbetreiben, eine niedrige Pauschalsteuer von 10 Prozent zahlen und unter bestimmten Umständen auch noch Arbeitslosengeld als öffentliche Subvention erhalten.

Das ist ein Angebot, das auch Beschäftigte, die nebenbei ein bisschen schwarzarbeiten, nicht ablehnen können. Ihnen bietet der Staat die Legalisierung ihres Status bei niedriger Steuerbelastung. Viele der neuen Jobs waren also schon vorher da, und sie werden auch nicht von Leuten besetzt, die arbeitslos gemeldet waren. Nichtsdestoweniger ist es eine gute Idee, Schwarzarbeit zu legalisieren: Die Sozialversicherung und die Staatskasse erhalten neue Einnahmen.

Der Vorschlag dient freilich auch dazu, den umstrittenen Niedriglohnsektor endgültig ins Leben zu rufen. Denn die ehemaligen Schwarzarbeiter werden ihre Arbeitskraft weiterhin billiger anbieten, als normale Firmen es können. Schließlich wollen sie ihren Preisvorteil nicht verlieren. Außerdem können sie sich das Lohndumping dank des niedrigen Steuersatzes und öffentlicher Subvention auch leisten.

Laut Hartz-Vorschlag dürfen die neuen Selbstständigen ihre Familienmitglieder bei sich anstellen. Die Familie erhält eine ganz neue Bedeutung als Niedriglohnfirma. KOCH

Sozialgeld: Arme Arbeitslose

Langzeitarbeitslose werden arm. Das Hartz-Konzept sieht vor: Sechs Monate Pauschalleistungen, sechs Monate genau gerechnetes Arbeitslosengeld, dann ein Jahr reduziertes Arbeitslosengeld als Ersatz für die Arbeitslosenhilfe – und dann: Sozialgeld („entspricht der heutigen Sozialhilfe“).

Länger als zwei Jahre arbeitslos waren 1999 knapp 760.000 Menschen, Tendenz steigend. Ihnen würde schlicht das Geld gekürzt – um einige wenige „Faule“ zum Arbeiten zu bringen.

Die Abschaffung der unbegrenzten Arbeitslosenhilfe hätte weitreichende Folgen. Wer in der Sozialhilfe landet, muss absolut jeden Job annehmen, auch die „gemeinnützige“ Arbeit für 1,50 Euro pro Stunde. Weder der oder die Betroffene noch der oder die PartnerIn dürfen Vermögen besitzen: Haus, Auto, alles perdu. SozialhilfeempfängerInnen können im Moment nicht an Arbeitsmarktprogrammen teilnehmen. Und: Für StützeempfängerInnen werden keine Rentenbeiträge gezahlt. Das kann bedeuten, dass man für den Rest seines Lebens vom Sozialamt abhängig bleibt.

Auch wenn die Union jetzt gegen die „sozialpolitische Wilderei“ (Sozialexperte Horst Seehofer) wettert, die sie bei der SPD ausmacht: Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe steht auch in ihrem eigenen Wahlprogramm. Ob sie die Arbeitslosenhilfe dabei auf das Niveau der Sozialhilfe absenkt, hat die Union selbstverständlich offen gelassen. Die einzige Partei, die die Absenkung der Arbeitslosenhilfe bisher offen forderte, war die FDP. Die SPD wandte sich bisher immer empört gegen den „Sozialabbau“, die Grünen planen sogar immer noch das Gegenteil: eine Grundsicherung.

Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wird von Experten ohnehin kritisch gesehen: Je mehr Arbeitslose nur noch den Sozialhilfesatz erhalten, desto mehr Arme gibt es. Dagegen könnte der Versuch sinnvoll sein, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger in die Programme zur Arbeitsbeschaffung (ABM) zu integrieren. Das ist schon nach jetziger Rechtslage möglich. Aber dazu äußert sich die Hartz-Kommission nicht: ABM gilt als unsexy. OES

Dienstmädchen: Schwacher Anreiz

Eine wundersame Wiederauferstehung feiert bei Herrn Hartz das gute alte Dienstmädchenprivileg. Die Kohl-Regierung führte die steuerliche Absetzbarkeit der Perle einst ein. Hunderttausende, ja eine Million Arbeitsplätze sollte das Steuergeschenk bringen, kündigte die Regierung damals an. Anfang dieser Legislaturperiode wurde das Instrument wieder abgeschafft – wegen anhaltender Erfolglosigkeit. Ganze 7.000 Haushaltshilfen waren vom illegalen auf den legalen Markt gewechselt.

Nun sollen die privaten Haushalte ihr Personal erneut von der Steuer absetzen können. Wieder wird die alte Milchmädchenrechnung aufgemacht: Was die Familien an Sozialabgaben für ihre neuerdings legale Hausarbeiterin zahlen, sollen sie auf der anderen Seite bei der Steuer wieder hereinholen.

Klappt nicht, meint Dienstleistungsexpertin Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. So sind Rentner eine der größten Gruppen, die Hilfe im Haushalt nachfragen. Ihnen nützt die steuerliche Absetzbarkeit überhaupt nichts, weil sei ohnehin kaum Steuern zahlen.

Für die schwarzputzende Frau ist der Anreiz, sich als „Ich-AG“ zu legalisieren, ebenfalls nicht groß genug. Weinkopfs Forschungen ergaben: Erst wenn Putzfrauen in Agenturen zusammengeschlossen sind, in denen ihre Einsätze organisiert werden und sie gegen Willkür der Nachfragenden geschützt sind, haben sie Interesse an einer Legalisierung.

Pikanterweise waren genau diese Agenturen bisher vom Dienstmädchenprivileg ausgeschlossen. Auch im Hartz-Konzept werden sie nicht erwähnt. Es favorisiert eher das Modell „kleiner Selbstständiger“. „Das bringt den bisher schwarzarbeitenden Frauen kaum Vorteile“, resümiert Weinkopf. OES