Herzblut einer lahmen Ente

Die Vergangenheit verarbeiten statt die Zukunft zu planen: Der Trainingsauftakt beim HSV verlief disharmonisch – jetzt sollen es noch mehr Altstars richten

Die amerikanische Politik hat für einen Präsidenten, der zum Ende seiner Amtszeit nur noch verwalten statt regieren kann, das schöne Bild der lame duck geprägt.

Seit vergangener Woche hat nun auch der Hamburger Bundesliga-Betrieb eine lahme Ente: Holger Hieronymus, dessen Vertrag als Sportchef vom Aufsichtsrat um die graue Eminenz Udo Bandow nicht verlängert wird, darf und soll noch bis Ende Januar 2003 ein bisschen Zukunft beim HSV gestalten. Eine traurige Aufgabe für einen Mann, der nach dem Votum der Kontrolleure nur noch Vergangenheit verkörpert, aber vorzeitig nicht hinschmeißen kann und will.

Loyalität bis zum bitteren Ende ist der letzte Dienst des Ex-Profis an seinem Verein. Wie lahm Hieronymus tatsächlich ist, dürften schon die Vertragsverhandlungen zeigen, die mit Sergej Barbarez und Ingo Hertzsch anstehen. Neben Präsident Werner Hackmann, der sich Bedenkzeit für seine eigene Vertragsverlängerung über den Sommer 2003 hinaus genommen hat, ist ja die Mannschaft selbst die große Unbekannte. Eine Mannschaft, die aufgrund der „Kirch“-Pleite, abgesehen von der Lokal-Personalie Christian Rahn keine spektakulären Verstärkungen verzeichnet und kaum fürchten muss, auf höhere Ziele verpflichtet zu werden. Doch vielleicht ist sie gerade deshalb zu einer Trotzreaktion fähig, die langfristig den Job von Kurt Jara sichert, der etwaige Egos schon mal „voll in den Dienst der Mannschaft“ gestellt wissen will. Oder versucht doch jeder nur noch seine Haut zu retten, wenn der gute Start misslingt, den sich der Trainer erhofft? Wie intensiv könnte Hieronymus dann noch auf das Team einwirken?

Jörg Albertz hat sein schlechtes Gewissen ihm gegenüber bereits öffentlich gemacht. Nicht zuletzt der überteuerte Rückkauf des Mittelfeldmannes aus Glasgow hat Hieronymus den Stuhl weggezogen. Vorwerfen lassen muss sich der Sportchef auf Abruf aber strukturelle Versäumnisse. Die beginnen beim ertrags- und freudlosen Reizklima im teuren HSV-Nachwuchs-Internat und enden bei einer wild wuchernden Ein- und Verkaufspolitik, deren einzige Maxime darin zu bestehen schien, Tage der geschlossenen Tür für hoffnungsvolle Talente zu veranstalten. Dafür steht, sofern doch noch ein paar TV-Taler rausspringen, nach wie vor die Verpflichtung von Michael Baur (Tirol) und Ciriaco Sforza (Bayern) im Raum. Beide Mittdreißiger.

Man wünscht es ja nicht. Aber vielleicht hätte der erste Abstieg des letzten Bundesliga-Dinos eine heilsame Wirkung – auch ohne „Herzblut“ (Hieronymus) einer lahmen Ente. Jörg Feyer