„Eierschalen hinter den Ohren“

In der Parlamentsdebatte über den Doppelhaushalt überzeugen die Redner mit ausgeklügelten Plattitüden, abgehangenen Klischees und wahnwitzigen Ideen. Klaus Wowereit liegt ganz vorn und redet gar über Politik

An diesem Donnerstagmorgen geht es im Abgeordnetenhaus schon ab neun Uhr um die Verabschiedung des Doppelhaushaltes. Die rot-rote Koalition wird am Freitag mit ihrer Mehrheit die Finanzplanung für die Jahre 2002/2003 verabschieden. Natürlich ist längst alles klar, alles in Haupt- und anderen Ausschüssen ausdiskutiert – von den 69 Millionen Euro, die bei den Kitas eingespart werden, bis zu den 0,00004 Millionen beim „Krawattengeld“ für Klaus Wowereit und Co. Wichtig ist die Haushaltsdebatte dennoch, denn sie ist die traditionelle Gelegenheit der Opposition zur Abrechnung mit dem Senat.

Eine gute Gelegenheit, möchte man meinen, angesichts der schmerzhaften Kürzungen und der schlechten Presse des Senates. Aber der Oppositionsführer heißt Frank Steffel. Der 36-jährige CDU-Fraktionschef benennt zwar die Schwächen des rot-roten Zahlenwerkes – die beabsichtigten Einsparungen beim Personal sind noch reines Wunschdenken, die eingeplanten Privatisierungserlöse nicht unterlegt, ein Konzept zur Privatisierung des Ausgabenfaktors Bankgesellschaft fehlt.

Dann aber mutet Steffel dem Publikum wieder Klischees zu: Als wären Berlins Probleme wirklich ein Bürgermeister, der gern tanzt, ein geplantes Denkmal für Rosa Luxemburg und ein Wirtschaftssenator mit PDS-Parteibuch. Inhaltliche Alternativen zur Senatspolitik klingen nur an: Er möchte bei einem Verkauf der Bankgesellschaft die Sparkasse unbedingt bei Berlin halten.

Im Gegensatz zu Steffel präsentieren die Grünen geradezu ein Trommelfeuer von inhaltlichen Vorschlägen. Die kleinste Fraktion lässt als einzige im Parlament nicht ihre Vorsitzenden, sonden einen Haushälter zum Haushalt reden. Der heißt Jochen Esser, redet rheinisch und geht in die Details. Esser zählt auf: Zum ersten Mal seit 1996 werden die Gesamtausgaben nicht sinken. Der Sparhebel ist an der falschen Stelle angesetzt. Ein Konzept zur „nachhaltigen Entschuldung gibt es nicht“.

Esser schlägt vor, den Riesenkosten für den sozialen Wohnungsbau der Vergangenheit zu entgehen, indem Berlin die Bestände zum günstigen Verkehrswert aufkauft, statt weiter zu subventionieren. Dieser Vorschlag ist der einzige am heutigen Tag, der Applaus aus allen Fraktionen erhält.

Jochen Esser gewinnt außerdem den informell auf der Pressetribüne ausgelobten Wanderpokal für die ambitionierteste Metapher der Debatte, als er der PDS vorwirft, sie habe „immer noch staatstragende Eierschalen hinter den Ohren“.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner fordert in der Debatte über einen Dreimal-umgedrehten-Pfennig-Haushalt mehr Geld für den Straßenbau und – ja, wirklich: den Ausbau der Kanzlerbahn U 5.

Herausragende Redner fehlen an diesem Morgen im Abgeordnetenhaus. Gregor Gysi sitzt schweigend auf der Senatsbank, Der CDU-Landesvorsitzende Christoph Stölzl leitet als stellvertretender Parlamentspräsident die Sitzung.

Harald Wolf von der PDS trägt klar, aber monoton vor. Er definiert die Reduzierung des Primärdefizits als unabdingbare Notwendigkeit. Dieser müsse sich nicht nur jede Fraktion im Abgeordnetenhaus, sondern auch jede gesellschaftliche Gruppe stellen. Immerhin gibt Wolf zu: „Zur Haushaltskonsolidierung braucht man gesellschaftlichen Konsens“, und erntet Zwischenrufe von den Grünen: „Dann fangen Sie doch endlich an, den Konsens zu organisieren.“

Nachdem der PDS-Fraktionschef die eigentliche inhaltliche Linie der Koalition beschrieben hat, bleibt dem Regierenden Bürgermeister eine Art Kür. Klaus Wowereit spricht in der Haushaltsdebatte kaum über Haushalt, sondern über den Bush-Besuch, über Möllemann und Zuwanderungsgesetz und über die Weltoffenheit und Toleranz, die sein Senat erhalten wolle. Den Einwand, er möge zur Sache sprechen, wischt Wowereit mit einem für den Propheten des Sparens bemerkenswerten Argument weg: „Es reicht nicht, Buchhalter zu spielen. Hier geht es um Politik.“ ROBIN ALEXANDER