Seelenperlen

„Mit Kindern redet sonst ja keiner“: Die Psychologin Gyöngyvér Sielaff kümmert sich um die Kinder psychisch kranker Eltern. Und entspannt sich bei Klaviermusik oder Harald Schmidt

von HELENE BUBROWKSI

Mit Kindern hat sich sie schon immer beschäftigt. Deshalb weiß Gyöngyvér Sielaff , „dass für Kinder die Musik ein Medium zum Ausdruck ihrer Sorgen und Probleme ist“. Aus dieser Erkenntnis hat sich eine Lebensaufgabe entwickelt. Heute steht die Diplom-Psychologin den „vergessenen“ Kindern psychisch kranker Eltern zur Seite.

„Oft hilft es den Kindern schon, sich einmal alles von der Seele zu reden“, sagt die 48-Jährige. Zum Beispiel montags in der Beratungsstelle SeelenNot in Altona. „Die Seele ist wie eine Perle, die von einer Schutzhülle umgeben ist“, erklärt Sielaff mit einfachen Worten. „Diese kann aber sehr dünn und rissig werden, so dass schlimme Nachrichten nicht mehr gefiltert werden, sondern der Perle Schaden zufügen können.“ Das können die vier bis sechs-Jährigen verstehen. Die Psychologin malt mit den Kindern und liest ihnen vor, teilt deren Ängste mit ihnen: vor Stigmatisierung, vor der Trennung von den Eltern, vor Gewalttätigkeit – und die Angst: „Kann ich das auch kriegen, was meine Eltern haben?“

„Psychose oder Schizophrenie gelten immer noch als Makel“, weiß Sielaff, psychische Krankheiten werden noch immer tabuisiert. Dabei gerät das Familienleben oft aus den Fugen; „Es ist, als ob eine Sicherung herausspringt“, so beschreibt eine inzwischen erwachsene Tochter den Psychosenanfang ihrer Mutter. Oder: „Sie ist wie durch eine dünne Eisschicht in den See gekracht.“ Die Symptome sind unterschiedlich: Manche werden agressiv und schlagen um sich, schwanken zwischen „himmelhochjauchend und zu Tode betrübt“, andere überkommt Einkaufswahn oder Nymphomanie, manche haben Wahnvorstellungen und Angstzustände.

Die Kinder sind damit überfordert. „Sie zweifeln an ihrer eigenen Wahrnehmung“, sagt Sielaff. Dabei fühlen sie sich verantwortlich für die Ausfälle ihrer Eltern. Selbst als Erwachsene habe sie das Gefühl, „im Vorwege Katastrophen verhindern zu müssen“, sagt eine Betroffene. Wenn ein Eimer umfalle, fühle sie sich verantwortlich – gefangen im Konflikt zwischen Solidarität mit den Eltern und dem Wunsch nach einem eigenen Leben, so Sielaffs Analyse. Deshalb brauchen auch Erwachsene mit psychisch kranken Eltern Hilfe, die sie als Kinder nicht bekamen.

Und so engagiert sich die Ungarin in Elmshorn im Modellprojekt „Regenbogen“ und leitet im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) eine Selbsthilfegruppe. Jeden Mittwoch besprechen Betroffene, was sie bewegt. „Als ich das erste Mal in die Gruppe kam, hatte ich das Gefühl, ich komme nach Hause“, sagt eine Frau. Sie ist dankbar: „Gyöngyvér ist großartig.“

Deren Doktorarbeit leidet unter diesem Engagement, schon seit Jahren schreibt Sielaff daran. Sie nimmt sogar Briefe mit nach Hause, um sie abends zu beantworten. Allerdings muss auch sie „mal abzuschalten“, beim Klavierspielen oder Qi Gong. Und mit der Familie: „Wenn ich meinem Enkelkind in die Augen schaue, ist alles wieder gut“, sagt Sielaff. Und herzlich lachen kann sie bei der Harald-Schmidt-Show.

Obwohl ihre Arbeit allgemein anerkannt und geschätzt wird, muss Sielaff um ihren Arbeitsplatz bangen. Denn bei der Kahlschlagpolitik in sozialen Einrichtungen ist das Bestehen der Projekte ständig gefährdet. SeelenNot finanziert sich ausschließlich durch Spenden, nur bis zum Jahresende ist das Bestehen gesichert. Die Zukunft der Selbsthilfegruppe im UKE ist ebenso unklar. Und das Modellprojekt in Elmshorn ist nur für zwei Jahre vorfinanziert.

Kontakt: Verein SeelenNot, Sprechstunde mo., ☎ 391 090 50; Selbsthilfegruppe für Erwachsene im UKE, ☎ 42803 3236; „Regenbogen“ in Elmshorn, ☎ 04121 / 84 04 46.