Nach der Party

Melancholische Gitarrenpop-Songs mit der Atmosphäre von Dance-Tracks: „Doves“ und die Essenz des Manchester-Sounds – im Logo

von FELIX BAYER

In diesen Tagen, an denen viel die Rede ist von gewissen mythischen Tugenden eines Landes und seiner Fußballer, darf wohl daran erinnert werden, dass auch Städte von gewissen Mythen umgeben sind. Manchester zum Beispiel: Da kommt Regen in den Sinn, die Farbe ist grau, die Stimmung trostlos. Aber Fußball und Popmusik haben den Ruf der Stadt in die Welt getragen. Was läge näher, als einen kausalen Zusammenhang herzustellen: „Maybe if Manchester was less of a shit-hole then creativity in the city would die“, schreibt Dave Haslam im Vorwort zu seiner Geschichte der Popstadt Manchester. Und die Doves möchten nicht widersprechen: Was sich ein Besucher der Stadt unbedingt ansehen sollte? „Das Abflugterminal des Flughafens“, spottet Andy Williams.

Zusammen mit seinem Bruder Jez und ihrem gemeinsamen Schulfreund Jimi Goodwin macht Andy Williams Musik, schon seit etwa zehn Jahren. Und die Entwicklung ihrer Musik scheint sich unentwirrbar mit der musikalischen Entwicklung Manchesters verbunden zu haben. Anfang der Neunziger tanzte man in der Hacienda unter dem Banner von „Madchester“, und dem jungen Trio gelang mit dem Rave-Hit „Ain‘t No Love (Ain‘t No Use)“ ein Überraschungstreffer in den britischen Singlecharts. Sub Sub nannten sie sich damals, der Hitparadenerfolg traf sie unvorbereitet – „es war als billiger Dancefloor-Track gedacht“ – und sie konnten nicht nachlegen. Eigentlich wollten sie auch nicht, „wir sahen uns schon viel mehr als Band“.

Mitte der Neunziger war die Party vorbei in Manchester. Die Clubs wurden ungemütliche Orte, der Bandenkriminalität wegen. Das Musikinteresse verlagerte sich wieder zu Bands auf Konzertbühnen. Die Williams-Brüder und Goodwin hatten sich ein Studio aufgebaut, doch ein Brand zerstörte es. „Auch wir hatten da schon wieder mehr mit Gitarren gearbeitet“, erinnert sich Jez Williams. Mit Gitarren wurden dann aber Oasis die Könige der Stadt – mit unangenehmen Folgen: „Alle wollten klingen wie Oasis und alle übernahmen ihre Uns-kann-keiner-was- Attitüde.“ Das alte Manchester starb, symbolisch mit dem Konkurs des Factory-Labels, ganz real mit dem Tod des legendären Managers Rob Gretton, der auch Sub Sub entdeckt hatte.

Doch während Oasis nach London in die Welt der Boulevard-Schlagzeilen und Promi-Ehefrauen umzogen, erholte sich Manchester. „Es kam ein individualistischerer Geist zurück“: Bands wie Badly Drawn Boy, Elbow oder I Am Kloot tauchten auf, und auch die Doves veröffentlichten 2000 endlich ihr Debütalbum, Lost Souls. Zutiefst melancholische, verhallte Gitarrenakkorde und eine zurückgemischte, traurige Stimme ließen die Kritik allerorten von einem verspäteten Post-Rave-Herunterkommen sprechen.

Im Grunde sind die musikalischen Bestandteile auf The Last Broadcast, dem neuen Album der Doves, kaum verändert: Höchstens vielleicht ist von allem etwas mehr da, mehr Gitarren, mehr Hall, mehr Stimme, die sich nicht mehr so versteckt. Doch durch die immer noch melancholische Musik leuchten jetzt Strahlen der Hoffnung. „There Goes The Fear“ heißt die epische Single, da geht sie hin, die Angst, weggetrommelt von der Percussion, die im Laufe des Liedes immer lauter wird. Die Doves beherrschen die Kunst, in Gitarrenpop-Songs die Atmosphäre eines Dance-Tracks zu erzeugen, ohne seine Sounds zu gebrauchen. Das konnten auch die Stone Roses, 1989/90 Protagonisten des Manchester-Rave-Booms. Weniger offensichtlich scheinen aber auch andere alte Helden Manchesters im Sound von The Last Broadcast auf, Joy Divison etwa, oder die Smiths. Es klingt, als hätten die Doves so etwas wie die Essenz der Musiktradition Manchesters gefunden. Und die wird auf der Insel gerade wiederentdeckt: New Order sind zurück, derweil Michael Winterbottoms Spielfilm 24 Hour Party People die Geschichte des Factory-Labels abfeiert.

Doch es ist wohl nicht nur gutes Timing, dass The Last Broadcast auf Platz eins der britischen Albumcharts brachte: Berichterstatter künden von einer geradezu feierlichen Stimmung auf den Konzerten. Fraglich, ob die auch im engen Logo entstehen kann, in einer Stadt, die mit Manchester – außer dem Wetter – nicht viel gemein zu haben scheint. Doch den Doves ist all das Gerede über Manchester inzwischen etwas unangenehm geworden: „Wir schwenken nicht die Flagge der Stadt“, sagen sie und murren auch etwas über das zitierte Buch von Dave Haslam. Doch nicht etwa, weil sie die darin ausgebreiteten Mythen verkehrt fänden. Nein, die Missbilligung begründet sich viel profaner: „Darin fehlt ganz Entscheidendes: Wir nämlich. Kein Wort über Sub Sub. Kein Wort über Doves.“ In einer Neuauflage wäre das anders. Ganz sicher.

Sonntag, 21 Uhr, Logo