Nach Bayern oder nach Finnland?

„Wir können nicht die ganze Schulstruktur über den Haufen werfen“, sagt Willi Lemke. Sechs Jahre Grundschule wird es mit der CDU nicht geben, hier und da kommt sie vielleicht trotzdem. Kompromisse bleiben an der großkoalitionären Tagesordnung

Bildungssenator Willi Lemke (SPD) braucht jetzt erst mal Urlaub. An seinem letzten Arbeitstag sprachen wir mit ihm über die Zeit nach Pisa. Lemkes wichtigste Botschaft: Schwache Schüler brauchen eine viel bessere Förderung. Hoffnung auf ein durchschaubares Schulsystem macht der Senator allerdings auch jetzt nicht.

taz: Herr Lemke, wo gucken Sie hin nach den für Bremen katasrophalen Pisa-Ergebnissen: nach Bayern oder nach Pisa?

Willi Lemke: Wenn‘s nach mir geht: nach Finnland. Wir wollen ja die Besten sein. Und nicht die Besten der zweiten Liga. Nun sind wir aber in einer Großen Koalition und die anderen gucken nach Bayern. Da müssen wir einen klugen Weg finden.

Müsssen Sie nicht auf jeden Fall vermeiden, die Schulstruktur noch weiter zu zerfleddern. Was fehlt ist die klare Linie, sagt die Lehrergewerkschaft.

Ja, aber das ist die Schwierigkeit. Ich habe eine total zerklüftete Struktur übernommen – integrierte Gesamtschulen, Stadtteilschulen, normale Gesamtschulen, Schulzentern, modifizierte Schulzentren, durchgängige Gymnasien ab der fünften und abder siebten – das ist atemberaubend. Aber bevor man über Schulformen spricht: erstmal müssen sie eine gute Schule machen, einen guten Unterricht.

Trotzdem: Der Streit zwischen ihnen und der CDU wird sich auch um Schulformen drehen. Soll in Bremen in Zukunft sechs Jahre gemeinsam in einer erweiterten Grundschule gelernt werden, so wie in Finnland, oder sollen nach vier Jahren – so will es die CDU – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen?

Das ist nicht meine Politik. Aber wir können nicht die gesamte Schulstruktur über den Haufen werfen. Ich hab doch schon bei den allerkleinsten Veränderungen Probleme. Fehlzeiten überprüfen zum Beispiel, da lachen die in Bayern – hier krieg ich Gegenwind von Interessensverbänden und Gewerkschaft. Aber ich bin überzeugt davon, dass es gut ist für unsre Kinder. So wie ich finde, dass wir mehr Leistung fordern müssen.

Wie könnte das aussehen

Wir fördern in der AG 7 fünfhundert sehr gute Schüler mit computerunterstütztem Zusatzunterricht, da bin ich stolz drauf.

In Deutschland ist Leistung immer mit Auslese verbunden, sagen Bildungsexperten

Wir lesen ja schon aus, bevor die Kinder eingeschult werden. 11,2 Prozent reißen wir die Schultüte praktisch wieder aus der Hand. Wir haben auch die höchste Sitzenbleiberquote. Das macht unser System übrigens auch teuer. Ganz wichtig ist: die Qualität der Förderung muss besser werden. Ich hörte vor kurzem von zwei Fällen, in denen Kinder in der ersten Klasse sitzengeblieben sind. Da muss doch die Schulleiterin sagen: Lieber Bildungssenator, wir konnten das Kind nicht so fördern wie es sein muss, jetzt nimm Du es in den Intensivkurs. Aber wenn die Schulleiterin nicht auf die Idee kommt... Da bin ich sprachlos. Nächstes Jahr erreichen wir mit den Förderkursen 400 Kinder. Bislang gaben wir Geld für zusätzliche Förder-Stunden per Gießkanne an die Schulen, aber nur die Hälfte davon kommt bei den Kindern an! Mit dem Rest werden Klassen geteilt, nicht nach Leistung, sondern in 1a und 1b. Da brauchen wir einen Paradigmenwechsel.

Nach Pisa jetzt auch noch Schelte vom Bildungssenator für die Lehrer?

Ich hab jetzt auch dafür zu sorgen, dass die Lehrer nicht völlig frustriert werden. Ich sage denen: Ihr habt schwierige Bedingungen, sowohl was die Zahl der Migranten und Sozialhilfeempfänger angeht aber auch die überfürsorglichen Eltern. Die rufen zum Teil schon an, wenn mal zwei Stunden Mathematik in der Grundschule ausfallen, weil sie Angst haben, dass ihr Sohn die Dissertation dann nicht schafft. So schlecht wie es im Moment aussieht, sind wir nicht. Die Stichprobe hat die Bevölkerung nicht richtig erfasst – bei uns hat keine Privatschule am Test mit teilgenommen und 40 Prozent Migrationshintergrund bei den 15-jährigen entspricht auch nicht dem Durchschnitt – dann liegt es aber auch an der schlechten Test-Kultur. Kaum ein Lehrer sagt, jawoll, kommt rein, ich zeig Euch, was ich geleistet habe.

Bürgermeister Henning Scherf sagt, die SPD ist Schuld. Sehen Sie das auch so?

Wir haben Fehler gemacht. Die Art wie wir mit Wettbewerb, mit Leistung, mit Kontrolle umgegangen sind: das ist nicht akzeptabel und das wird sich ändern. Ich erwarte auch von meinen Lehrern, wenn so ein Test ansteht, dass sie ihre Schüler motivieren. Und im System gibt es auch Mängel: Es kann nicht sein, dass in Bremen der Vater nur irgendwo ein x machen muss, und dann kommt der Junge auf‘s Gymnasium. Wenn ich an diesen Verhätnissen nicht innerhalb der nächsten drei jahre etwas geändert habe, dann sag ich: spielt alleine weiter.

Zum politischen Procedere: Sie haben den für heute angesetzten Koalitionsausschuss zum Thema Pisa auf unbestimmte Zeit verschoben, weil Bernd Neumann erkrankt ist. Ist das Thema nicht so wichtig, dass man das auch behandeln muss, wenn einer fehlt?

Das ist nicht irgendeiner, Neumann ist von der Bildungspolitik her sicherlich ein herausragender Mann in der Bremer CDU. Ich bin auch nicht so traurig. Was ich kurzfristig machen konnte habe ich gemacht. Eigenständigkeit der Schulen stärken, wir haben ein Referat für die Qualitätssicherung eingerichtet.

Sie haben einen Runden Tisch eingerichtet. Was passiert da, Kuhhandel mit der CDU?

Überhaupt nicht. Wir haben 42 Leute an einen Tisch geholt, alle die mit Schule irgendwie zu tun haben, sehr kluge Leute, und die werden im Herbst zu Ergebnissen gekommen sein. Damit gehen wir in die Bildungsdeputation. Vielleicht sagt die CDU dann, sechsjährige Grundschule machen wir nicht. Vielleicht kriegen wir einen Kompromiss: Können wir das nicht dort zulassen, wo Schulen diesen Weg einschlagen und die Eltern es wollen. Dann haben wir in Grambke eine sechjährige Grundschule , vielleicht auch in Schwachhausen.

Fragen: Elke Heyduck, Jan Kahlcke