Kein Tod eines Mittelläufers

Das neue Sonett von Rayk Wieland: Kein Vorabdruck in der taz. Ein Offener Brief der Wahrheit-Redaktion

Lieber Herr Wieland,

Ihr neues Sonett wird behandelt wie ein Staatsgeheimnis. Nur ein kleiner Zirkel von Eingeweihten kannte bisher den Inhalt. Mittlerweile kenne auch ich ihn. Nicht weil Rechercheure ihren Panzernachtschrank in Hamburg geknackt hätten. Sie selbst haben uns, unspektakulär genug, das Manuskript geschickt. Sie wünschen, dass Ihr neues Sonett, „Materialien zur Kritik an einer bekannten Ballsportart englischen Ursprungs, vorgetragen in einer ebenfalls bekannten Gedichtform italienischer Bauart“, in dieser Zeitung abgedruckt wird. Sie legen Wert darauf, dass es hier und gerade hier erscheint.

Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Sonett nicht in dieser Zeitung erscheinen wird. Die Kritiker mögen entscheiden, wie gut oder wie schlecht dieses Gedicht unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit ist. „Auch ein schlechter Wieland ist ein Ereignis“, sagte einmal ein bekannter Redakteur.

Ihr Sonett ist eine Exekution. Eine Abrechnung – lassen wir das Versteckspiel mit Metaphern gleich von Anfang an beiseite! – mit der deutschen Fußballnationalmannschaft. Es geht um die Vernichtung unserer Helden. Sie werden als „dumpf“, „talentlos“ und „plemplem“ bezeichnet. Außerdem erfährt man, ihr Spiel sei „Dreck“. Am Ende die Bestätigung des Anfangsverdachts: Die deutsche Mannschaft, schreiben Sie, sie spiele „beschissen“. Dazwischen eine Art Gesamtanalyse unseres Starensembles unter Aufbietung unverschlüsselter Figuren wie Christian Ziege.

Ehe Sie, lieber Herr Wieland, mit den Begriffen Fantasie, Kreativität, Ballzauber antworten – ich bin durchaus im Bilde. Ich bin imstande, beim Fußballspiel das Schöne vom Erfolgreichen zu unterscheiden. Man hat mich unterrichtet, wie oft und wo überall in der modernen Fußballgeschichte die besseren Mannschaften verloren haben.

Doch die Burgtore des Ästhetischen, der fußballerischen Tradition und Technik stehen Ihnen als Zuflucht nicht offen. Denn das alles wären ja nur Kategorien für ein „schlechtes“ oder „gutes“ Gedicht. Ich aber halte Ihr Sonett für ein Dokument des Hasses. Und ich weiß nicht, was ich befremdlicher finden soll: die Zwanghaftigkeit, mit der Sie Ihr Thema durchführen, oder den Versuch, den so genannten Tabubruch als Ironie und Satire zu tarnen. Nicht wahr, Sie haben das „Schlagt sie!“ nur wörtlich genommen?

Werden Sie mir glauben, dass ich umgekehrt nun beginne, Sie wörtlich zu nehmen? Ihr Gedicht ist nichts anderes als eine Diffamierung. „Ich raff es nicht. Ich tick nicht, dass das wahr ist“, sagt das lyrische Ich zum Beispiel. Und einmal fällt sogar das Wort: „Scheiß“. Sie haben sich einer Art von Aversion bedient, mit der es möglich ist, Kritik zu üben, ohne die Tatsachen zu berücksichtigen.

Das Repertoire antinationalistischer Klischees ist leider unübersehbar. Sie, lieber Rayk Wieland, wissen, was Sie hier tun. „Dreck“, „abgefuckt“, „Ficker“, das alles geht hier direkt gegen Deutschland. Doch wenn Sie schreiben: „Allein der Fakt, dass – na, wie heißt er? – Ziege da ist / kann mir in echt den ganzen Tag versauen“, überziehen Sie das Ganze ins nicht mehr Nachvollziehbare. Ziege war im letzten Spiel nicht aufgestellt. Es ist dieser Satz, der mich vollends sprachlos macht. Der Mittelläufer ist Ihnen so wichtig, dass er zweimal in dem Sonett vorkommt. Auf dem Hintergrund der Tatsache, dass Ziege nicht mitspielte, halte ich das für ungeheuerlich.

Ich habe, lieber Herr Wieland, ihre Beiträge auf der Wahrheit immer geschätzt. Ebenso klar sage ich, dass ich fatal finde, was Sie jetzt zu tun im Begriff sind. Als das deutsche Team bei den letzten beiden WMs frühzeitig ausschied, war die Häme groß. Am Sonntag nun steht es im Finale. Verstehen Sie, dass wir kein Gedicht drucken werden, das unterstellt, dieser Erfolg sei unverdient? Verstehen Sie, dass wir der hier kaum verbrämt wiederkehrenden These, die Deutschen könnten nicht Fußball spielen, kein Forum bieten werden?

Ich muss diese Absage öffentlich machen. Sie haben bereits vorauseilend die Vermutung geäußert, eine Absage wäre nur auf den undurchschaubaren Einfluss Frank Schirrmachers zurückzuführen. Doch die reale Hauptfigur Ihres Sonetts, Ziege, weiß nichts von diesen Vorgängen. Es gibt keine Verschwörung. Sie, lieber Herr Wieland, haben oft genug gesagt, Sie wollten nichts als guten Fußball sehen. Ich glaube heute: Guter Fußball wäre unsere Niederlage. Mit bestem Gruß MICHAEL RINGEL