Stimulant der Kriegsbegeisterung

Jahrzehntelang war der Evangelische Pressedienst mit seiner Geschichte während des Nationalsozialismus im Reinen. Jetzt ist die Legende zusammengebrochen: Die Nachrichtenagentur arbeitete damals nicht kritisch, sondern mehr als regimekonform

von SUSANNE AMANN

Der Moment der Erkenntnis muss bitter gewesen sein. Ausgerechnet im eigenen Haus, ausgerechnet beim Evangelischen Pressedienst (epd) hat man es nicht so genau genommen mit der eigenen Geschichte. Oder anders herum: Jahrelang hat man einfach nicht in Frage gestellt, was der erste Chefredakteur Focko Lüpsen nach dem Krieg erzählt hat. Über die Haltung der Nachrichtenagentur im Dritten Reich, die damals noch Evangelischer Presseverband Deutschlands (EPD) hieß.

Auf Grund kritischer Berichterstattung sei der EPD 1937 verboten worden, er selbst in der oppositionellen Bekennenden Kirche tätig gewesen, hatte Lüpsen nach dem Krieg mehrfach erklärt und aufgeschrieben. Doch was über Jahre nicht nur vom epd, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur gerne übernommen wurde, ist falsch. Das hat der epd in eigener Recherche herausgefunden und jetzt veröffentlicht.

Danach ist der EPD nicht 1937 eingestellt worden, sondern erschien als Agenturdienst für die Tagespresse bis 1939, für die Kirchenzeitungen sogar bis 1941. Die Einstellung erfolgte dann auf Grund von NS-Papierrationalisierungen, die zwar auch politisch motiviert waren, „sich aber nicht erkennbar gegen den EPD im Besonderen richteten oder gar eine Abstrafung für missliebiges Verhalten gewesen wären“, wie Volker Lilienthal sagt, der darüber ein Jahr lang recherchiert hat.

Was aber viel unangenehmer ist für den Nachrichtendienst, der selbst äußerst kritisch verfolgt hatte, wie sich etwa der Bertelsmann-Konzern von den Legenden seiner Geschichte befreien musste: Der EPD war nicht nur „gleichgeschaltet und ohne durchgängige Distanz zum Regime“, sondern seine Berichterstattung entsprach weitestgehend dem „Duktus der NS-Propaganda“, wie Chefredakteur Thomas Schiller erklärte. „Der EPD war kein Stürmer, was aber nicht bedeutet, dass der Judenhass jener Jahre keine Spuren hinterlassen hat.“

In den Archiven der Staatsbibliothek in Berlin fand Lilienthal ohne Probleme nicht nur die Jahrgänge des EPD, die es nach der Geschichtsschreibung des studierten Theologen und Philosophen Lüpsen eigentlich nicht hätte geben dürfen, sondern auch zahlreiche Beispiele für die „geistige Mobilmachung“, wie Lilienthal die Berichterstattung zu Kriegsbeginn bezeichnet. Da heißt es beispielsweise am 4. August 1939: „Unser Volk hat sich erhoben, um mit den Waffen einzustehen für einen Frieden der Gerechtigkeit. Der Führer hat uns alle zum Einsatz gerufen, und wir alle stehen bereit, wo und wie er uns braucht.“ Gezeichnet ist der zweiseitige Leitartikel mit F. L. – Focko Lüpsen. Seit Kriegsbeginn publizierte der EPD in dichter Reihenfolge Stimmungsberichte, die, so heißt es in einem Sonderheft epd-medien, „geeignet waren, die Kriegsbegeisterung in Deutschland weiter zu stimulieren.“

Im Jahr 1940 wird Chefredakteur Lüpsen zum Wehrdienst eingezogen und seine Vertretung übernimmt Kurt Böhme, der für eine weitere Radikalisierung des EPD sorgte. Von langen Leitartikeln geht er über zu einer kurzen, aber aggressiveren Kommentierung des Kriegsgeschehens. Als eines der „übelsten Dokumente“ bezeichnet Lilienthal einen Kommentar kurz vor Weihnachten 1940, der eine Bilanz des Luftkrieges gegen England zieht. Darin heißt es „Wisst ihr Engländer nicht mehr, dass unser Führer Euch und der ganzen Welt den Vorschlag gemacht hat, den Bombenkrieg nicht nur abzuschaffen, sondern sogar zu ächten? (...) Und um die Insel herum wachen unsere U-Boote und halten den Ring um England fest geschlossen. So gut wie nichts entgeht ihren wachsamen Augen. (...) Wer für England fährt, fährt in den Tod.“ Für Lilienthal ein Zeichen, dass sich der EPD „der Propaganda möglichst unentbehrlich machen wollte.“ Denn im Zuge kriegswirtschaftlicher Rationalisierungen wurden kirchliche Blätter immer weiter reduziert und damit letztlich auch der EPD eingestellt.

„Uns ist nicht klar, warum der EPD unter den Nazis weitergemacht hat“, sind sowohl Schiller als auch Lilienthal ratlos. Denn schon 1935 hatte es eine Anordnung der Reichspressekammer gegeben, in der es hieß: „Die Behandlung politischer Fragen oder die Stellungnahme dazu ist nicht Aufgabe der kirchlich-konfessionellen Presse.“ Was Lüpsen als „Zwangsjacke“ kritisierte, hätte nach Einschätzung von Lilienthal hervorragend dazu gedient, sich legitimerweise aus der Politik herauszuhalten – und damit eine Form des anständigen „Überwinterns“ zu finden.

Das das nicht geschehen ist, hat wohl mehrere Ursachen. Zum Einen wollten wohl weder Lüpsen noch Herausgeber August Hinderer ihr Lebenswerk einfach aufgeben, zumal der EPD damals ein ausgesprochen profitables Unternehmen war. Zum anderen standen beide vor der Alternative des Kriegseinsatzes – ein „starker Beweggrund, den Redaktionsdienst besser nicht zu quittieren“, wie Lilienthal sagt.

Aber auch die Persönlichkeit von Lüpsen dürfte darüber Aufschluss geben, der von Wolf-Dieter Zimmermann, einem Schüler Dietrich Bonhoeffers und tatsächlich beteiligt an der Untergrundarbeit der Bekennenden Kirche, als „vorsichtiger, angepasster und ausgesprochen ängstlicher Mann“ beschrieben wird. Zimmermann, heute 91 Jahre alt, hatte sich als junger Mann mehrfach mit Lüpsen unterhalten und dabei den Eindruck gewonnen, dieser distanziere sich deutlich. Dass sich ausgerechnet Lüpsen nach dem Krieg in den Lizenzanträgen für die Neugründung des Nachrichtendienstes als „von der Gestapo verfolgt“ und als „Mitglied in der Bekennenden Kirche“ bezeichnete, war deshalb wohl zum einen Zwecklüge, diente aber gleichzeitig auch dem Verwischen der eigenen Spuren.

Nach den bisherigen Ergebnissen, die der epd mit nicht selbstverständlicher Offenheit präsentiert hat, bleibt eine Reihe von Fragen offen, nicht nur nach der Persönlichkeit Focko Lüpsens, der nach dem Krieg wieder Karriere machte, vielfach geehrt und mit dem Bundesverdienstkreuz augezeichnet wurde. Klar ist aber eines geworden: Wie leicht Wissenschaft durch pures Abschreiben Geschichtsfälschungen weiterträgt – wenn keiner fragt.