Wie jeder für sich bleibt

Jacques Rivettes „Va Savoir“: Wer weiß schon, was der andere gerade macht, denkt, meint. Deshalb wird viel Konversation betrieben, doch was jemand wirklich sagen will, ist erst klar, wenn er allein ist

„Für mich ist das Kino eine Kunst der Zeit. Wie der Musiker oder der Dramaturg manipuliert der Filmemacher die Zeit, im Prinzip ist es der eigentliche Sinn seiner Arbeit.“ (Jacques Rivette)

Der Stoff von „Va Savoir“ könnte der einer Boulevardkomödie sein. Jeder mit jedem auf irgendeine Weise. Es treten auf: Camille (Jeanne Balibar), Ugo (Sergio Castellitto), Sonia (Marianne Basler), Pierre (Jacques Bonaffe), Do (Hélène de Fougerolles) und Arthur (Bruno Todeschini). Eine italienische Theatergruppe gastiert mit einem Stück von Luigi Pirandello in Paris. Camille ist die Hauptdarstellerin, Ugo der Regisseur und die beiden ein Paar. Pierre ist der ehemalige Liebhaber von Camille, den sie fünf Jahre zuvor fluchtartig verlassen hat. Sonia ist Pierres derzeitige Partnerin. Arthur ist Sonias heimlicher Liebhaber und der Halbbruder von Do, die wiederum für Ugo schwärmt, der sich nicht abgeneigt zeigt. Vor allem ist er von einem verschollenen Stück Goldonis besessen, Do hilft ihm, es zu finden. Zwischendurch hat Camille auch mal was mit Arthur und ist durcheinander, weil die alte Geschichte mit Pierre … und so weiter. Was man so Franzosenkino nennt. Alle Beteiligten sind schlau und gebildet, aber die Gefühle wollen trotzdem nicht so, wie sie’s gern hätten.

Doch die Komödie lebt von ihren Pointen und das Rivette-Kino von Momenten, in denen augenscheinlich nichts passiert. „Geheimsache“ hätte ein Thriller sein können, die Spannung aber entsteht, wenn Sandrine Bonnaire Zug fährt, und nicht, wenn sie die Knarre in der Hand hält. Was zählt, ist weniger das Tun als das Noch-nicht-Tun oder das Schon-getan-Haben. Ein ähnliches Bild blieb von Sandrine Bonnaire in der Rolle der Jeanne d’Arc. Eine konzentriert Zögernde und kompromisslos Handelnde, wobei die Kompromisslosigkeit erst durch das Zögern sichtbar wird. Bei „Va Savoir“ geht es im ähnlichen Sinne nicht darum, wer mit wem, sondern wie jeder für sich bleibt. Manchmal entsteht Komplizenschaft, manchmal vereint zwei Menschen eine gemeinsame Besessenheit für etwas, Begehren kommt vor. Die Motivation aber ist immer eine unterschiedliche, das Trennende wird nicht in Kitsch aufgelöst. „Va Savoir“ – wer weiß schon, was der andere gerade macht, denkt, sagt, meint.

Ähnlich wie Sandrine Bonnaire überstrahlt Jeanne Balibar als Camille mit ihrem Gesicht „Va Savoir“. Als würde sie an sämtlichen Leidenschaften einfach so vorbeischlendern. In ihrem schlaksigen Körper aber scheint eine Intensität zu toben, eine Art nach innen gewandter, ausgebremster Exzentrik, die keinen wirklichen Platz hat. Man könnte die nervöse Unentschlossenheit für überspannt halten, aber Rivette spart sich alles Hysterische. Niemand schreit. Claire Denis, die zusammen mit Regisseur Serge Daney 1991 den Film: „Jacques Rivette, le Veilleur“ („Der Nachtwächter“) drehte, hat über die Figuren Rivettes mal gesagt: „Bei Jacques existiert der Körper wie der eines Tänzers. Die Körper kontrollieren ihre Emotionen. Der Körper ist der eigentliche Zugang zum Kino, denn man muss ihn immer choreografieren. Aber er ist auch das Gefängnis der Gefühle. Meine Körper gehorchen nicht so gut wie die von Rivette.“

Die Körper von Rivette gehorchen nur mit Anstrengung. Die Distanz will und soll nicht schwinden. Es wird viel Konversation betrieben in „Va Savoir“, was jemand aber tatsächlich sagen will, lässt sich erst ablesen, wenn er/sie allein ist. Wenn er/sie nichts sagt und die Unruhe sichtbar wird. Kommunikation ist da eher eine Abfolge von Missverständnissen, die wahreren Sätze werden auf der Bühne gesprochen. Das mag an „Bande des Quatres“ erinnern, man könnte „Va Savoir“ auch für eine erwachsene Variation halten. Erwachsen im Sinne von abgeklärter und abgerundeter, wie ein formverspielter Reigen.

ANNETT BUSCH

„Va Savoir“. Regie: Jacques Rivette. Mit Jeanne Balibar, Marianne Basler, Hélène de Fougerolles, F 2001, 154 Min.