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: Wie eine Perlenkette

„Alzheimer 2000. Toter Trakt“

Frau Meinhof und Herr Baader begegnen sich an der Bühnenrampe, beide mit Luftballon. Wie Rentner, die den Verlust der eigenen Bedeutung mit Fassung zu tragen lernten, stehen sie sich gegenüber. „Was ist eigentlich aus deinem Porsche geworden?“, fragt sie, und er weiß es nicht. „Greise sind wir geworden, wie Deutschland“, sagt sie und: „Du hast mich bürgerliche Fotze genannt.“ So beginnt die Oper „Alzheimer 2000. Toter Trakt“ von Andreas Ammer und FM Einheit den Rückblick auf eine Zeit vor vierzig Jahren aus großer Distanz und mit kleiner Geste.

Es geht um Trauer, um den Verlust von Erinnerung und um das Aushalten des Schmerzes in diesem Stück über den Tod von Ulrike Meinhof; und nicht um die Suche nach historischer Wahrheit oder die Befriedigung der Sehnsucht, in eine Welt mit klaren Fronten zurückzukehren. Mit einem Requiem ist diese Collage aus dokumentarischen Bilder, Tönen und elektronischer Musik viel eher zu vergleichen denn mit dem Versuch von Erklärung und Rechtfertigung.

Frau Meinhof (Jennifer Minetti) und Herr Baader (Günter Rüger) reflektieren in trockenen Dialogen, was damals geschah und wo ihre Fehler lagen. Ulrike M. (Jasmin Tabatabai) und Andreas B. (Erik Biegel) dagegen singen: Sie sind die stilisierten Figuren einer Oper, deren tragisches Ende vorhersehbar ist. Sie sind auf der romantischen Seite einer Erinnerung, die weiß, dass sie zu verklären beginnt und in der Geschichte der Opfer einen Sinn sucht, den die Geschichte nicht hat. „Lange noch trug ich die Perlenkette, lange noch trug ich dunkle lange Haare, lange noch sprach ich dunkle lange Sätze.“ Melancholisch sind Ulrikes Lieder und eine Spur selbstironisch. Jasmin Tabatabai geht dabei langsam gegen die sich langsam drehende Bühne an: Die Zeit tritt auf der Stelle, ausruhen könnte man in dieser Trauer.

Das Stück hält sich nicht mit Erklärungen auf, wer Baader und Meinhof waren. In durchscheinenden Videoprojektionen werden Bilder aus dem kollektiven Vorrat reproduziert, Fernsehauftritte, Schlagzeilen, Gerichtsurteile. Ein Chor, der ein bisschen nach Kurt Weil klingt, singt den Text der Fahndungsplakate. Gedichte von Friedrich Hölderlin schieben sich zwischen die Texte von Ulrike Meinhof und das Deutschland, das beide beschreiben, spiegelt sich eins im anderen. „Tatenarm und gedankenvoll“, es ist nicht zuletzt dieses Klischee vom deutschen Zwiespalt, dem sie entkommen will. Der Sprache des Dichters ist sie dennoch näher als der von Andreas B.; aber mit diesem flieht sie über die Sitzreihen wie das Gangsterpärchen aus „Bonny and Clyde“. Nicht zuletzt ist „Alzheimer 2000“ ein Stück über die todbringende Verwechslung von verführerischen Posen mit dem eigenen Leben.

Ihre stärksten Partien entwickelt die Oper in den letzten beiden Akten, die dem „toten Trakt“ und der Isolationshaft gelten. Der Text basiert auf einem Brief von Ulrike Meinhof – „Man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten“ –, der sich im Sprechen und Singen der alten und der jungen Ulrike verdoppelt. Mit verbundenen Augen irren sie zwischen großen herabhängenden Metallblechen und Spiralen herum, die von dem Komponisten FM Einheit mit dem Hammer bearbeitet werden. In jeden Schlag hinein spürt man das Zufallen von Türen, das Vorschieben von Riegeln, die Hilflosigkeit der Wut.

Vieles kann man dieser Oper vorwerfen: auf ein Thema aufzusatteln, das im Kino gerade Konjunktur hat. Die Eindeutigkeit der Konnotationen von Gewalt, dort wo dokumentarisches Bild und Klang aufeinander treffen: Polizisten prügeln Demonstranten, FM Einheit prügelt seine Instrumente. Die Musik ist längst nicht so grenzgängerisch und gewagt, wie das Opernhaus behauptet, sondern illustrativ und suggestiv. Nicht zuletzt hat der Versuch, mit Ulrike Meinhof, Jasmin Tabatabai und FM Einheit ein jüngeres Publikum ans Opernhaus zu locken, etwas Naives.

Doch all dieser Vorbehalte zum Trotz ist „Alzheimer 2000. Toter Trakt“ ein berührendes Stück Musiktheater und das Bekenntnis eines ungestillten Hungers nach Helden. „Entweder Schwein oder Mensch. Entweder Überleben um jeden Preis oder Kampf bis zum Tod. Entweder Problem oder Lösung. Dazwischen gibt es nichts,“ lautete eine der selbstmörderischen Parolen aus den Tagen des Hungerstreiks, im Libretto oft wiederholt. Für das Dazwischen setzt sich dieses Stück ein, ohne seine Figuren zu verraten. KATRIN BETTINA MÜLLER