Olé, olé, olé

Jubeln erweist sich während der WM als eine durchaus differenzierte Angelegenheit

Seltsame WM. Alles geguckt, alles durchlitten. Komische Spiele an komischen Orten mit komischen Leuten. Am besten war’s in London in der „Bar Lorca“ beim Spiel zwischen England und Argentinien. Die argentinischen Bekannten sind ständig enthusiasmiert herumgehüpft, und alles war super und steckte irgendwie an, dieser Migrantenjubel zwischen diesen allerdings moderaten Engländern. Mit Migranten lässt es sich besser jubeln. M. sagte dann später, dass sie wohl auch so überdreht gejubelt hätten, weil sie eben alle noch in der verhassten Diktatur groß geworden wären, mit diesem ganzen nationalistischen Liedschrott, den sie als Kinder hatten singen müssen, dass also ihr Jubeln nicht ganz ungebrochen im Prinzip gewesen wäre, andererseits aber war dieser Jubel über ein paar ungenutzte Chancen hier wieder entschieden, weil sie ja in England lebten. Und ich hatte mitgejubelt, weil ich meine Bekannten mochte.

Am liebsten jubele ich mit den Außenseitern, wenn sie in der Minderheit sind, weil ihr Jubel – anders als der aggressiv dominante der Mehrheit – eher um Sympathie wirbt. Auch die Türken, die an zwei Tagen ganz Berlin verwandelt hatten, schienen hinter ihrem hupenden Lärm um gutes Benehmen und Aussehen bemüht. Zuweilen erschienen sie fast schüchtern hinter dem veranstalteten Lärm.

Als Deutschland gegen Korea spielte, saßen vielleicht 2.000 in der Berlin-Treptower „Arena“, in der der Lärm sich echotechnisch ganz schön hochschaukelte. Die Chöre von vielleicht dreißig engagierten Deutschlandfans dominierten: „Sieg, Sieg, Sieg Deutschland“, „Hier regiert Deutsch-e-land“ bzw. „der DFB“ und „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“. Zwei standen dann tatsächlich auf. Enttäuschend war, dass auch Kiffer für Deutschland jubelten, nachdem der gebürtige Karl-Marx-Städter das Tor gemacht hatte. Danach war es seltsam. Kaum hundert Meter entfernt von der Arena spürte man kaum mehr was vom großen Ereignis; die jubelnden Autos waren selten und Fahnen noch seltener. Verglichen mit dem Jubel der Türken, der Sekunden nach dem Spiel Berlin an zwei Tagen verwandelt hatte, eher nichts, und die Reporter, die im Fernsehen verkündeten, ganz Berlin stehe Kopf, sind dreiste Lügner.

Vielleicht weil die Zahl der Jubeldeutschen relativ klein war, wirkten sie umso aggressiver, jedenfalls die, die drei Stunden nach dem Spiel noch betrunken grölend zwischen Scherben den Ku’damm blockierten; nicht so sehr Prolls, sondern eher junge Rechte, die aussahen wie BWL-Studenten-Klischees. Einige hatten die nicht zu singenden Strophen der Nationalhymne auf ihren Schals oder „Böhse Onkelz“ und brüllten sogar in ganz normale Fotoapparate hinein. Wer nicht „Finale“ oder „Deutschland“ rief, hatte das Gefühl, jetzt möglicherweise gleich eine aufs Maul zu kriegen. Niemand lachte, die Atmosphäre war feindselig. Die Migranten, die die Sonderausgabe der BZ verkauften, hielten sich am Rand, und man wünschte sich, dass die WM schnell vorbeigeht und Deutschland bloß nicht Weltmeister wird, weil das nur die falschen Kräfte stärkt. Später fuhr ein Auto mit fröhlichen Frauen und kleinen Koreafähnchen durch die Urbanstraße. Man winkte erleichtert und dachte wieder, dass der weiblich geprägte Jubel, der Korea ins Halbfinale gebracht und den Ulli Stielicke als „gekünstelt“ denunziert hatte, doch superangenehm ist. Entscheidend ist übrigens die Deckenhöhe beim Jubeln, sagte ein Freund, der 66 mit zwei gebrochenen Armen begeistert in die Luft gesprungen war. DETLEF KUHLBRODT