Jeder Pfiff ein Auftritt

Italien ist am Sonntag doch im WM Finale: Schiedsrichter „Kojak“ Collina pfeift das Spiel Brasilien–Deutschland

Wenn es nach den Hardlinern unter Italiens Fußballfans und -funktionären ginge, stünde Pierluigi Collina am Sonntag gar nicht auf dem Platz in Yokohama: Grobes Schiedsrichterunrecht habe Italien gegen Korea aus der WM gekegelt, als Repressalie solle Italien seinen Schiedsrichter vom Turnier abberufen.

Dazu kam es aber nicht, und so sind die Azzurri doch noch im Finale gelandet, wenn auch nur mit dem Pfeifenmann. Der wird schon dafür sorgen, dass seine Präsenz nicht unbemerkt bleibt. Denn von der Theorie, ein guter Schiedsrichter falle vor allem durch Unauffälligkeit auf, hält Collina gar nichts. Lieber inszeniert er die Pfeiferei als großes Theater. Jeder Pfiff ein Auftritt, jede Geste bühnenreif, jede Abmahnung eine kleine Szene – so manches Gurkenspiel bekommt allein durch Collinas Darbietungen Unterhaltungswert.

Sein Aussehen hilft ihm dabei: Allein der total kahle, markante Schädel verleiht Autorität. Collina besteht darauf, dass er keiner Mode hinterherläuft. Er trug schon Glatze, als das noch nicht modern war: Mit nur 26 Jahren ereilte ihn der komplette Haarausfall. Überhaupt macht Collina gern alles früh. Seine Fußballkarriere begann er im Team der Stadtteilpfarrei in Bologna, ging mit 15 zu einer „echten“ Nachwuchsmannschaft, beendete seine Laufbahn aber nach nur zwei Jahren – und zwei selbst eingestandenen roten Karten wegen grober Fouls. Die wollte Collina von Stund an selbst ziehen; noch nicht volljährig, absolvierte er seinen ersten Schiedsrichterlehrgang.

Das Pfeifen wurde ihm schnell zur Passion; während seines Wehrdienstes leitete er trotz fehlender Beurlaubung ein Spiel und büßte das Disziplinarvergehen mit wochenlangem Küchendienst. Dann aber geht es rauf auf der Karriereleiter; erst die Provinz, dann Regional- und Oberliga, mit 31 schließlich die „Serie A“. „Kojak“ rufen ihn die Spieler – das ist nicht besonders fantasievoll, aber passend. Denn ganz wie der US-Dauerlutscher wechselt Collina in Sekundenschnelle von der strengen Nummer zur schalkhaften Einlage. Er drangsaliert die Spieler nicht, aber er hat sie im Griff, zur Not auch mal mit einer ironischen Ballettimprovisation. Italiens Elitekicker aus der Ersten Liga dankten es ihm, indem sie ihn so gut wie jedes Jahr zum besten Unparteiischen wählten.

Auch international pfiff Collina schnell vorne mit. Italien gewinnt seit der WM 1982 international nichts mehr – zum Ausgleich ist Collina da. Seit 95 auch Fifa-Schiedsrichter, leitete er schon 1996 das Olympiafinale zwischen Nigeria und Argentinien, und wieder hagelte es Ehrungen: Mehrfach wurde er zum besten internationalen Schiedsrichter gewählt, und die Uefa zeichnete ihn als Besten bei der EM 2000 aus.

Den Ruhm genießt Collina ohne falsche Bescheidenheit. Die Werbespots mit der italienischen Nationalelf wurden nach der Achtelfinalpleite schnell aus den TV-Programmen verbannt – Collina dagegen ist weiter auf dem Schirm. Autogramme schreibt der mit Andrea Bocelli befreundete Pfeifstar genauso gern, wie er für Interviews zur Verfügung steht, und als einziger Schiedsrichter Italiens leistet er sich seine private Homepage. Die ist in Fußballfragen natürlich strikt unparteiisch. Collina outet sich zwar als begeisterter Fan von Fortitudo Bologna – aber die Jungs von Fortitudo spielen Basketball. MICHAEL BRAUN