EDMUND STOIBERS FORDERUNGEN AN POLEN ZIELEN INS NICHTS
: Falscher Absender, falsche Adresse

Was jahrelange deutsch-polnische Verständigungsarbeit zustande brachte, es bleibt prekär, anfällig für Rückschläge. Schon Edmund Stoibers Dauerfeuer zwecks Aufhebung der vier Beneš-Dekrete, die die Sudetendeutschen entrechteten, hat in Tschechien die nationalistische Rechte munitioniert. Der neue Vorstoß des Unionskandidaten zur Aufhebung der entsprechenden polnischen Nachkriegsgesetze wird nun allgemein Empörung auslösen. Und zwar zu Recht.

Stoibers Attacke entbehrt jeder juristischen Grundlage. Die einschlägigen polnischen Gesetze der Zeit nach 1945 sind entweder aufgehoben oder transformiert worden, wie erst gestern Wlodziemierz Borodziej, ein Kenner der Vertreibungsmaterie, gegenüber der FAZ festgestellt hat. Und was nicht mehr existiert, kann nicht aufgehoben werden. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Fordert Stoiber allen ernstes Restitution oder Schadenersatz für Vermögenswerte der deutschen Flüchtlinge oder Vertriebenen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, die nach dem Krieg verstaatlicht wurden? In den beiden Verträgen mit Polen im Rahmen von 2 plus 4 ist davon nicht die Rede. Zudem hat Polen schon in den 50er-Jahren auf Reparationsansprüche verzichtet. Will Stoiber also Entschädigung für Vermögen von Deutschen, die vor 1939 auf polnischem Staatsgebiet lebten und nach 1945 enteignet wurden? In diesem Fall wäre auch die polnische Verzichtserklärung hinfällig – und Polen würde im Gegenzug die Rechnung für die deutschen Verheerungen und Raubzüge während der Besatzungszeit aufmachen. Das ergäbe zumindest eine nützliche Nachhilfestunde für Stoiber in Sachen Zeitgeschichte.

Seit Kardinal Stefan Wyszynski, der damalige Primas von Polen, 1966 mit seinem „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ die Hand Richtung Bundesrepublik ausstreckte, hat es auf beiden Seiten nicht an Versuchen zu Verständigung und Aufarbeitung gefehlt. Nicht nur Intellektuelle waren hier involviert, sondern auch viele „einfache“, religiös oder moralisch berührte Menschen – darunter tausende der Heimatvertriebenen. Denn das Schicksal der Vertreibung traf nach 1945 nicht nur Deutsche in den vormaligen Ostgebieten, sondern auch die Polen in den Territorien, die an die Sowjetunion fielen. Gemeinsames Leid verbindet.

Wlodzimierz Borodziej empfielt: Ruhig Blut bewahren. Er hat Recht. Stellen wir also ruhigen Blutes fest, dass Stoibers Vorstoß ihn als Außenpolitiker disqualifiziert hat. CHRISTIAN SEMLER