die stimme der kritik
: Betr.: Säuferstreik statt Käuferstreik

Der Teurorismus erfordert zielgenauere Gegenwehr

Am Montag ist es mal wieder so weit. Eine anonyme Ketten-E-Mail hat für den 1. Juli zum Konsumentenboykott aufgerufen: „Stell dir vor, ganz Deutschland kauft einen Tag lang nichts ein!“ Und warum? Weil der Euro alles so teuer gemacht hat. Der Aufruf zur flächendeckenden Konsumverweigerung kommt ein bisschen sehr lindenstraßig daher: Gute Menschen gegen böses System – den „Verantwortlichen“ sollen „die Augen geöffnet werden“. Das ist natürlich Bullshit. Wenn große Handelsketten mit vier Buchstaben damit werben, dass sie bei der Euroeinführung keinen Preis erhöht haben, müssen sie damit Recht haben, sonst hätte die Konkurrenz diese Werbung längst verbieten lassen. Dort (und in anderen Unternehmen) laufen die Verantwortlichen längst mit offenen Augen herum; wofür also soll man sie für bestrafen?

Ausnahmsweise ist mal nicht das System böse; böse sind einige, nennen wir sie die Teuroristen, die in diesem System auf unser schlechtes Gedächtnis spekulieren. Und diese Teuroristen werden mit einem allgemeinen Käuferstreik nicht getroffen. Und weil dieser Streik so unspezifisch befindlichkeitsmäßig ist, wird er weder zählbaren Erfolg haben, noch würde er ihn verdient haben. Die Kaufkraft der Gutmenschen für ein bestimmtes Anliegen zu mobilisieren, ist ein potenziell extrem wirksames Instrument – Brent Spar hat das nachdrücklich bewiesen. Gerade deshalb sollte man dieses Instrument nur gezielt und nicht in Schrotschussmanier einsetzen.

Wie könnte das in diesem Fall aussehen? Ein Sammelbecken für Teuroristen ist die Gastronomie – nirgends ist die gefühlte Inflation höher als auf den Speise- und Getränkekarten. Wie wäre es also damit, für den 1. Juli statt zum Käuferstreik zum Säuferstreik aufzurufen? Am Montag allgemeiner Kneipenboykott – nach dem alkoholhaltigen Endspielsonntag dürfte das nicht so schwer fallen. Für die darauf folgenden Tage bietet sich dann ein differenzierteres Vorgehen an: All die Gaststätten, die zur besseren Vergleichbarkeit wieder ihre alte D-Mark-Karte hervorkramen, dürfen wieder besucht werden, der unwillige Rest wird, im Zweifel gegen den Teurorismus, weiterhin gemieden. Und wenn wir das lang genug durchhalten, haben wir danach nicht nur ein gutes Gefühl, sondern sogar wieder gute Preise.

DETLEF GÜRTLER