Samba oder Marsch?


von THILO KNOTT
und STEFAN KUZMANY

1. Ussama Bin Laden ist Fußballfan. Was bedeutet das für die Welt?

Der Terrorchef berichtete in seinem Video vom Dezember 2001: „Abu Hassan sagte mir vor einem Jahr: ‚Ich sah in einem Traum, wie wir gegen die Amerikaner Fußball spielten. Als unsere Spieler auf dem Feld erschienen, waren sie alle Piloten!‘ Er sagte, das Spiel sei weitergegangen, und wir hätten sie besiegt. Das war ein gutes Omen für uns.“ Auch wenn er nicht selbst geträumt hat: Bin Laden scheint Fußballmetaphern zu mögen. Der nahe liegende Schluss: Kein WM-Turnier ist von einem Anschlag bedroht. Die Gefahr: Ussama Bin Laden könnte mitspielen wollen.2. Gewänne mit Brasilien das Gute und mit Deutschland das Böse?

Falsche Frage. Hier geht es um Fußball, und da gibt es weder gut noch böse, weder gerecht noch ungerecht, sondern höchstens mal blinde Schiedsrichter. Die Mächte des Schattens gegen jene des Lichts kämpfen nur im Kino.3. Trotzdem: Wenn Brasilien gewinnt, hat dann das Gute gewonnen?Noch mal: Das ist Käse. Aber selbst wenn es einen Zusammenhang gäbe: Ein Sieg Brasiliens würde zwar oberflächlich einen Sieg des Guten vorgaukeln. Aber das wäre eine List des Teufels. Denn ein WM-Sieg würde die Brasilianer und die Welt nur darüber hinwegtäuschen, wie schlecht es dem Land eigentlich geht. Außerdem dürften bei einem Sieg Brasiliens einige Quadratkilometer Regenwald zusätzlich für Freudenfeuer dran glauben.Übrigens: Der Teufel hat einen Rumpelfuß.

4. Ästhetik oder Pragmatismus – was ist besser?

Fragen Sie doch mal Pelé. Oder wäre Ihnen Hans-Peter Briegel lieber?

5. Lässt sich mathematisch berechnen, wer Weltmeister wird?

Aber klar. Spitzen Sie Ihre Bleistifte. Brasilien wurde das letzte Mal 1994 Weltmeister, davor 1970. Addieren Sie 1970 und 1994. Die Summe ist 3964. Argentinien wurde das letzte Mal 1986 Weltmeister. Davor 1978. 1986 + 1978 = 3964. Deutschland wurde 1990 Weltmeister, davor 1974. 1990 + 1974 = 3964. Folgt man dieser Rechnung, müsste der diesjährige WM-Sieger derselbe wie 1962 sein. Denn: 3964–2002 = 1962. Und das war Brasilien.

Ihnen gefällt das Ergebnis nicht? Dem Erfinder der Theorie, einem gewissen Louis, gefällt es auch nicht. Denn der Mann stammt aus der Republik Zentralafrika, die war noch nie Weltmeister. Und würde also frühestens im Jahr 3964 gewinnen. Nehmen wir also eine andere Formel. taz-Leser Bernd Stange schreibt: Von der ersten WM 1930 bis zum ersten deutschen Titelgewinn 1954 dauerte es 24 Jahre, der zweite Titelgewinn erfolgte 20 Jahre später 1974, zum dritten Mal wurde die deutsche Nationalmannschaft 1990 Weltmeister, 16 Jahre nach dem zweiten Titel. Folgt man dieser mathematischen Folge (24, 20, 16) ergibt sich konsequent der nächste Titelgewinn 12 Jahre nach 1990, eben 2002!6. Was sagen die Sterne?

Astrologe Michael Allgeier tippt: Das DFB-Team gewinnt. Er legt das Deutschlandhoroskop zugrunde, dessen wichtigste Punkte sich morgen mit dem Spielhoroskop decken sollen. Jupiter am MC wie 1990 – da kann nichts schief gehen.

7. Samba oder Marsch?

Klar, Samba sieht schöner aus. Und wenn die, die mit dem Ball tanzen, erst einmal in Schwung gekommen sind, dürfte den hüftsteifen Deutschen schnell schwindelig werden. Andererseits muss sich die deutsche Kompositionskunst nicht verstecken (Beethoven! Bohlen!). Vor allem hat sie unter Beweis gestellt, dass sie sich fremde Einflüsse einzuverleiben vermag, ganz so, wie sich die deutsche Mannschaft auf exotische Gegner einstellt. Das lässt sich an den zünftigen Stadionhymnen ablesen, von „Steh auf, wenn du ein Schalker bist“ zur „Go West“-Melodie bis hin zum klassischen „Olé, olé, olé, olé“. Allerdings: Sollte Brasilien zum fünften Mal Weltmeister werden, steht einem Revival der Sechzigerjahre-Sambawelle nichts mehr im Wege. Siehe: „Mas, que Nada“. Was aber kommt nach einem deutschen Sieg? Die Befürchtung: eine Wiederkehr des Schuhplattlers.

8. Was trinken Sie zum Finale?

Der Brasilianer: Caipirinha. Man nehme: 1/2 Limette, 2 gehäufte Teelöffel braunen Rohrzucker, zerkleinerte Eiswürfel, 4–6 cl Cachaça (brasilianischer Zuckerrohrschnaps). Die halbe Limette wird in kleine Stücke geschnitten und zusammen mit dem Zucker in einem stabilen Whiskyglas zerquetscht. Anschließend wird das Glas (je nach Größe) zu 2/3 oder ganz mit Eis aufgefüllt, die Cachaça zugegeben und das ganze gut umgerührt.

Der Deutsche: Bier. Man nehme: 2 kg helle oder mittlere Gerste, 250 g Karamellmalz, 30–40 g Pellets Hopfen, Typ 90 (bei 3 Prozent Alphasäure), 20–25 ml untergärige Pilsener Flüssighefe, sehr weiches bis weiches Wasser. 9–10 Liter werden im Hauptguss auf 55 Grad Celsius erwärmt. Dann 20 Minuten Einmaischen bei 50 Grad. Die Eiweisrast benötigt 15–20 Minuten bei 50–52 Grad; die Maltoserast 40–60 Minuten bei 64 Grad. Es folgen die erste und zweite Verzuckerungsrast (40–60 Minuten bei 72–75 Grad bzw. 75–76 Grad). Nachguss 7 bis 8 Liter. Würze 90 Minuten kochen. 3/4 des Hopfens vor Kochbeginn zugeben, das letzte Viertel ca. 5 Minuten vor Ende des Kochvorgangs. Auf 6 Grad abkühlen. 6–10 Tage dauert die Hauptgärung bei 4 bis 10 Grad. Dann 4–12 Wochen lagern.

9. Wenn Brasilien gewinnt – wer wird dann Präsident?

Da der amtierende Fernando Henrique Cardoso für die Präsidentschaftswahl am 6. Oktober nicht mehr kandidiert, hat der Kandidat der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) Luiz Inacio Lula da Silva die besten Chancen. Lula ist besonders schlau: Den PT-Nominierungsparteitag hat er auf den Tag des Finales gelegt – zum Doppeljubel. Bei so viel Weitsicht steht einem Sieg eigentlich nichts mehr entgegen.

10. Wenn Deutschland gewinnt – wer wird dann Kanzler?

In diesem Rausch ist alles möglich.

11. Warum wird Leverkusen Weltmeister?

Leverkusen spielt nicht gegen Unterhaching – sondern gegen Leverkusen. Lucio auf der einen, Ramelow, Neuville, Schneider auf der anderen Seite. Gut gemacht, Rainer Calmund, da kann ja diesmal überhaupt nichts schief gehen.

12. Wo werden die Bälle für die WM 2006 genäht?

In Auftrag gegeben werden die Bälle selbstverständlich in Herzogenaurach. Angefertigt werden sie, wo es am billigsten ist. Unser WM-Tipp: Brasilien.

13. Wer ist eigentlich Mehmet Scholl?

Der eigentliche Held der deutschen Nationalelf. Denn anders als Figo oder Zidane hat er auf die WM verzichtet. Freiwillig. Und hat somit den Weg frei gemacht. Für Klose, für Ballack, für Hamman et al.

14. Wer wird 2006 Weltmeister?

Unter den Buhrufen von 70.000 Menschen im Berliner Olympiastadion: Niederlande gegen Österreich – 1:0. Oder andersrum.

15. Wen sehen wir 2006 wieder?

Hoffentlich nie wieder Uwe Seeler. Auf jeden Fall aber Oliver Kahn – bis dahin bester Torhüter des Universums. Wenn die Amerikaner ihn nicht für ihr National-Missile-Defense-Programm (NMD) verpflichtet haben. Denn wer wäre geeigneter, Geschosse aller Art abzufangen?

16. Was würde Sepp Herberger vor dem Spiel sagen?

„Miro, des is’ dei Wedder!“ Aber nur wenn’s regnet.

17. Was würde Berti Vogts sagen?

Das interessiert Sie doch nicht.

18. Was werden die Briten schreiben, wenn Deutschland gewinnt?

The Sun: „Ha, ha, said the Krauts!“

Mirror: „German-Blitz killed football!“

Daily Telegraph: „Football is going to hell!“

19. Was ist die neue WM-Frisur?

Das 80er-Revival in grau: der Völler-Flokati.

20. Die Rangliste der Babynamen 2003?

1) Oliver

2) Rudi

3) Fritz

4) Walter

21. Wer hat den schöneren Torschrei? Entscheiden Sie selbst:

Deutschland: Toa.

Brasilien: Goooooooooool!