Kaiserin der Herzen

Die außergewöhnliche Künstlerin Pamela Anderson wird heute 35 Jahre alt

Damals waren ihre Haare aufgetürmte schwarze Wolken

Der Mythos um Pamela Anderson bezieht sich weniger auf ihr familiäres Engagement als auf ihre künstlerischen Erfolge. Viele Zeitgenossen bestaunen die Anderson als exzentrisches Wunderwesen, das fernab von aller Normalität mit eigenwilligen ästhetischen Konzeptionen Aufsehen erregte. Ebenso wie das intellektuelle Erbe der Anderson verdienen die besonderen Lebensumstände dieser außergewöhnlichen Künstlerin Aufmerksamkeit, wenn man ihre Erfolge in einer von Männern beherrschten Domäne verstehen will. Das Gesamtkunstwerk Pam Anderson ist und bleibt angelegt als ätzende Satire auf den wahnhaften Schönheitskult, auf schlechte Schauspielerei und Wichtigmacherei.

Ihre Karriere begann heute vor 35 Jahren als Tochter von Barry und Carroll im kleinen kanadischen Ladysmith (sic!). Sie wollte Tierärztin werden, einen netten Nachbarssohn heiraten, einen Haufen Kinder kriegen. Doch das Leben schrieb der geborenen Aktionskünstlerin ein anderes Drehbuch. „Popcorn“ nannten sie ihre Klassenkameraden, weil ihre Brüste beim Wegrennen vor zudringlichen Händen hüpften wie Popcorn. Damals waren ihre Haare aufgetürmte schwarze Wolken, unberührter, gefrorener Schnee ihre Haut. Herbstliche Gewässer spiegelten sich im Licht ihrer Augen, duftenden Pfirsichblüten vergleichbar ihre schwach gepuderten Wangen, einer zinnoberroten Kirsche die behutsam geschminkten Lippen.

Wie heißt es doch so schön: „Wer niemals anfängt, bringt niemals etwas zustande.“ Das hatte sich die Anderson von einer ihrer Interviewantworten für die Schülerzeitung gemerkt. Getreu der Devise von Idol Sophia Loren „Jede Frau ist mehr als ihr Körper“ störten sie zuerst ihre Brüste: „Wer B sagt, muss auch D sagen“. Frei nach dem Matthäus-Wort „Wer hat, dem wird gegeben“ silikonisierte sie ihr Drüsengewebe von 75 B auf 95 D (Kontrollumfang 101 cm). Sie erblondete auf der Stelle, ließ einen 28er-Treckingfahrradschlauch in Ober- und Unterlippe implantieren, ließ sich beide Beine brechen und in X-Form wieder verheilen, gewöhnte sich an blaue Hemdknöpfe, die sie statt Kontaktlinsen trug. Jeder wirklich aufmerksame Beobachter hätte die Performance der Power-Frau als das verstanden, was sie ist: eine Parabel auf die Manipulierbarkeit des öffentlichen Geschmacks. Aber Fehlanzeige. In ihren (TV-)Filmen „Baywatch“, „Barb Wire“ und „V. I. P.“ übte sie schonungslose Kritik an der Unsinnig- und Vergänglichkeit US-amerikanischer Schönheitsideale. Die Paparazzi verfolgten sie auf Schritt und Tritt, versuchten mit Skandalgeschichten ihr Scherflein ins Trockene zu bringen. Auf Hochglanzfotos sah man die Anderson lachen und weinen, denn sie verbarg das, was sie fühlte, nicht hinter einer steifen Maske. Sie unterdrückte trotz ihrer hohen künstlerischen Verantwortung nicht ihre Emotionen, zeigte oft ihr wahres Gesicht. Das machte sie zu einer Frau zum Anfassen! Doch genau das hatte sie nicht gewollt.

Ihr Scheitern war vorprogrammiert. Mit ihren provokanten Body-Installationen hatte sie in ein Wespennest gestochen. Die High Society reagiert empfindlich, wenn ihr mit dem Ausbrechen aus sozial viel zu eng gerahmten Sexualvorstellungen ein Spiegel vorgehalten wird. Man versuchte die Anderson auf ein Busenwunder zu reduzieren, diffamierte sie als blondes Dummchen. Wie so oft lag die Wahrheit in der Mitte. Diese Rufmordkampagnen überschatteten wie ein Wermutstropfen ihre Wahlverwandtschaft mit Tommy Lee, einem berühmten Rockmusikanten aus Amerika. Selbstzweifel quälten sie. Die Anderson fühlte sich wie in einem seidenen Käfig, ihr Eheglück strampelte an einem goldenen Faden. In ihrer darstellerischen Praxis suchte sie eine Neuorientierung, eine deutlichere Amalgamation von Intention und Ambition. Sie ließ ihre Aushängeschilder zurückbauen, verlor die Lust an anspruchsvollen Fotoarbeiten, begann Gedichte zu schreiben.

Die Anderson bemüht sich seither verstärkt um den Tierschutz. „Ich lehne Drogen und Alkohol total ab, bin ein Gesundheitsfreak.“ Außerdem steht die Erziehung ihrer Söhne Brandon und Dylan, die sie abgöttisch liebt, im Vordergrund: „Für meine Jungs gibt’s nur kontrollierte Bio-Kost. Ich koche alles selbst.“ Ansonsten hat die Anderson sich jedem Umarmungsversuch moderner Feministinnen mit freundlicher Bescheidenheit entzogen, es stets abgelehnt, sich als Vorbild für den Lebensentwurf anderer Frauen aufstellen zu lassen. Auch wenn sie nun dem bekannten Superstar Bob Ritchie alias Kid Rock angehört, sie bleibt im Grunde ihres Herzens eine Abenteurerin, die nur in kritischen Situationen Stärke beweist. Uns bleiben ihre Filme, ihre Videos, ihre Kalender.MICHAEL RUDOLF