Das Kultobjekt Ball

Gespräch mit dem Fußballtrainer Cesar Luis Menotti (63) über die Weltmeisterschaft 2002 und das deutsche Team

taz: Señor Menotti, hat Ihnen die WM gefallen?

Cesar Luis Menotti: Nein, überhaupt nicht. Das Schönste einer WM ist die Verabredung mit der Geschichte, die wir Fußballmenschen alle vier Jahre haben. Wir treffen frühere Spieler und Trainer, begegnen Fans aus aller Welt. Aber das war unmöglich hier mit den zwei Ländern und den verstreuten Stadien. Mehr als für die Besucher und die Welt des Fußballs war diese WM für Korea und Japan gemacht.

Werden die Gastgeber wenigstens davon profitieren?

Korea hat einen ersten Schritt gemacht. Aber am 2. Juli kehrt der Alltag zurück. Um Fußballgeschichte zu schreiben, braucht ein Land Menschen mit Liebe zu diesem Sport, und die muss der eigenen Liga gelten, nicht nur der eigenen Elf bei der WM.

Die koreanischen Fußballer selbst haben sich jedenfalls toll entwickelt.

Der Trainer hatte vier Monate Zeit, in denen er tolle Arbeit leistete. Die Koreaner spielten schnell, präzise, technisch gut. Und die Zuschauer verliehen ihnen Flügel.

Unglaublich, wie die rannten …

Ausdauer ist vor allem Einstellungssache. Es ist wie im Leben. Wenn einem alles gelingt, wenn man mit seiner Frau zufrieden zusammenlebt und glücklich ist, wird man selten müde.

Müde waren aber die anderen. Viele Akteure kamen überspielt von ihren Vereinen.

Man muss da einiges überarbeiten. Die natürlichen Zeitabschnitte des Fußballs dürfen nicht von der Wirtschaft gefressen werden. Zumal die Wirtschaft so ihr eigenes Produkt schädigt. Alle träumten davon, Zidane in all seinem Glanz zu erleben. Aber er kam erschöpft und verletzte sich. Die Mailänder Skala ist ohne Pavarotti vielleicht noch ein architektonisch schönes Theater, aber kein Operntempel mehr.

Ist Ihnen ein schöner Verlierer lieber ist als ein hässlicher Sieger?

Nein, nein, ich will gewinnen. Niemand spielt nur der Schönheit wegen. Aber keiner garantiert mir, dass ich siege, wenn ich hässlich spiele. Die Geschichte zeigt, dass die am meisten gewonnen haben, die den besten Fußball boten.

Herausstechende Künstler sind hier kaum aufgefallen. Überhaupt scheinen sich die Fußballer und die Mannschaften immer mehr anzugleichen.

Mannschaften wie Japan, Kamerun oder Nigeria passierte dasselbe. Sie wurden schematisiert, computerisiert. Als sie auf ihre Art noch nichts gewannen, sagte man ihnen, sie seien zu naiv und müssten strenger spielen, zweckmäßiger. Ich kann aus einem Afrikaner aber keinen Deutschen machen. Nun sind sie weder das eine noch das andere, sie sind ein Nichts. Von den Afrikanern verstand allein Senegal, dass Ordnung nur nützt, wenn sie den Abenteurern keine Fesseln anlegt. Auch die Türken haben auf der Basis einer einfachen Ordnung Kreativität gedeihen lassen. Sie haben aus dem Ball ein Kultobjekt gemacht.

Das kann man von den Deutschen nicht gerade sagen.

Mir haben sie gegen Korea gut gefallen.

Aber diese Mannschaft hält doch nicht einmal ansatzweise dem Vergleich mit der großen Elf der 70er-Jahre stand.

Ich sage auch nicht, dass sie mich berauscht. Sie spielt mit dem, was sie hat. Wenn ich Orchesterchef bin und mein Geiger ist nicht herausragend, fordere ich keine Wunderdinge von ihm. Sonst fiedelt er nicht mal mehr das, was er kann. Die Deutschen verstecken sich nicht, spielen hart, kraftvoll, aber nobel, ohne schlechte Absichten.

Hätte ein Triumph Argentiniens mitgeholfen, die prekäre Lage im Land zu verbessern?

Überhaupt nicht. Armselig sind die Politiker, die glauben, ein Volk mit Fußball abspeisen zu können. Wenn der Lohn nicht einmal zum Essen ausreicht, sagt keiner: Macht nichts, wir sind ja Weltmeister.

INTERVIEW: RALF ITZEL