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Das war die WM, die war

Die wichtigsten Spieler in der taz-Einzelkritik. In die Auswahl gekommen sind elf Freunde, die nie zusammenstehen, sich aber dennoch bei dieser Weltmeisterschaft den Ball zugespielt haben

von MATTI LIESKE und MARKUS VÖLKER

Ronaldo (Brasilien)

Machte, was er wollte, in Strafraumnähe folgte ihm der Ball wie ein Küken der Henne. Schonte sich im Training durch gepflegten Standfußball, traf dafür aber in sieben WM-Spielen achtmal. Führte den Pikeschuss in die für Seitfallzieher und Fummelfußball berühmte brasilianische Schule ein und wird für den pragmatischen Gebrauch einfacher Mittel am Zuckerhut nun verehrt. Von besonderer Schönheit war seine Frisur, die er sich zum Halbfinale zulegte. Die Ronaldo-Tonsur, abgeschaut bei einem abgeschieden lebenden Amazonasstamm, geht in die WM-Geschichte als erratischster Schnitt ein. Dafür kommt der Fußball spielende Ronaldo dem Eigentlichen am nächsten.

Figo (Portugal)

Des Luis Figo schneller Tod ein hyperaggressiver Gegenspieler ist. Der Südkoreaner Lee zog dem einstmals teuersten Spieler der Welt einen Zahn nach dem anderen. Figo, von dieser Respektlosigkeit überrascht, forderte Lee auf, er solle endlich von ihm ablassen. Lee scherte sich einen Dreck darum. Figo musste sich also bewegen, gelegentlich richtig schnell rennen, was seinem Selbstverständnis freilich komplett widersprach. Er wurde mehr als einmal entzaubert – wenn er nicht gerade von seinen Mitspielern geschnitten wurde. Heißester Konkurrent Rivaldos im Kampf um die Andy-Möller-Medaille für die ausdrucksvollste Leidensmiene.

Kahn (Deutschland)

Aufdringlichste Erscheinung bei dieser WM. An ihn schleimten sich die deutschen TV-Reporter heran wie Nacktschnecken an den Salat. Kahn baute sich zu einer großen Blaupause auf, die von ironiefreien Ehrgeizlingen in den Büros dieser Republik bis zur Farberschöpfung gebraucht wird. Der hoch ansteckende Kahnsinn führte zu eigenartigen Symptomen des Tuns-als-ob. Man versuchte sich hierzulande an ausgelassenen Feiern und Hupkonzerten. Kahn, das muss man ihm zugute halten, hielt viel. Viel mehr als die anderen Torsteher. Im Finale machte der „Titan“ einen haarsträubenden Fehler, der den Final-Versager, noch Jahre beschäftigen wird. Ach was: Jahrzehnte.

Beckham (England)

Lieferte die missratenste Selbstinszenierung dieser WM, als Gattin Victoria den Privatfriseur nach Japan schicken wollte, um haarige Desaster zu beheben. Weniger schlimm war danach das Ausscheiden gegen Brasilien, die wahre Schande bestand darin, dass der Mohikanerkamm am Ende wieder so schlapp am Haupte baumelte, wie die Engländer in Überzahl spielten. Fußballerisch nach Blitzgenesung des Fußbruchs solide, doch ohne die gewohnten spielentscheidenden Beckhamessereien.

Caniggia (Argentinien)

Er hatte den wohl schönsten Abgang. Bekam die rote Karte gezeigt, obwohl er gar nicht auf dem Feld stand. Lächelte maliziös, grinste sardonisch. Trottete in die Katakomben. Was wollte ihm der Schiedsrichter? Ihm, dem Maradona-Spezl, ihm, der zuletzt viel lieber den Blei- als seinen Zauberfuß gebrauchte und auch einer Prise Kokain nicht abgeneigt ist? Dann ist er eben gegangen. Was soll’s. So richtig vermisste ihn eh keiner.

Diouf (Senegal)

Diouf – Apotheose des Dribbelkünstlers, Rastelli des Rasens, Antipode des Geradlinigen – beglückte all jene Zuschauer, die nicht nur den zweckmäßigen Ergebnisfußball Hanauer Provenienz schätzen, sondern auch all die Fußballfans, die in diesen Tagen das Wort SPIEL nur noch in Versalien zu buchstabieren pflegen. Spiel ist Zufall, Kreativität, Virtuosität, auch Einfalt und Risiko. Diouf spielte Fußball, wo andere nur ein Bein an den Ball hielten. Danke, Diouf!

Miyamoto (Japan)

Der Mann mit der Maske, deren Rezept sich auch der Koreaner Kim in einer Art gastgeberübergreifender Solidarität aneignete, symbolisierte Durchhaltevermögen und Begeisterung in den beiden Teams und Ländern. Trotz Nasenbeinbruchs ein umsichtiger Abwehrorganisator in einem angriffslustigen Team, dessen Gesichtsschutz nicht Gesichtslosigkeit signalisierte, sondern zum beliebtesten Fanartikel nach den Hemden Nakatas und Inamotos wurde.

Agoos (USA)

Verdienter Veteran des amerikanischen Teams, der unverhofft noch eine große WM spielen durfte und doch auch wieder nicht. Im letzten Vorrundenspiel bei der Niederlage gegen Polen früh verletzt ausgeschieden, verpasste er die großen Auftritte gegen Mexiko und Deutschland. In Erinnerung bleibt er wegen einiger schneckengleicher Antritte, des Seaman-Pferdeschwanzes am Hinterhaupt und des schönsten Eigentors des Turniers, bei dem er den Ball gegen Portugal völlig unbedrängt volley in Friedels Tor schmetterte und den Sieg noch in arge Gefahr brachte.

Totti (Italien)

Seine größte Leistung bei diesem Turnier war es, der ganzen Welt einzureden, er habe sich in der Verlängerung der Partie gegen Südkorea nicht am Fuß des Gegenspielers eingehakt, um dann engelsgleich abzuheben und einen Elfer zu schinden. Am Ende glaubte ihm sogar der ecuadorianische Schiedsrichter, der ihn für die Schwalbe vom Platz gestellt hatte, was ihn aber nicht vor dem geballten Zorn der italienischen Nation rettete. Ansonsten schoss, dribbelte und passte der offensive Mittelfeldmann so genial wie beim AS Rom, aber am Ende mit ebenso wenig Fortune.

Keane (Irland)

Fragt sich nur, welcher. In Irland ist die Frage beantwortet. Bei Keane denken alle nur noch an Robbie, den Torschützen gegen Deutschland und Spanien, und nicht an diesen komischen Stänkerer von Manchester United, wie hieß er doch gleich mit Vornamen? Irlands Pech, dass außer Robbie keiner Elfmeter schießen kann, zumindest keiner, der im entscheidenden Moment noch anwesend war in Asien. Nicht wahr, Roy?

Zidane (Frankreich)

Der Quadrizeps des rechten Oberschenkels eines Mannes aus Südfrankreich musste für die größte Ausrede dieses Turniers herhalten: dass nämlich der leicht lädierte Muskel dieses Fußballspielers für den Untergang einer stolzen Fußballnation und des aktuellen Weltmeisters verantwortlich ist. Tatsächlich blieb die Equipe Tricolore ohne Zidane ohne Glück und Erfolg. Es war noch nie gut, nur mit den Muskeln zu denken. Frankreich ist daran organisch gescheitert.

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