: Bartlebys Erben
Wie viel Negativität darf es sein? Diedrich Diederichsen erprobt die Kraft der Negation auf einem Kongress
Es war eine Situation, der Bartleby, der berühmte Kanzleischreiber aus Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung wahrscheinlich mit einem „I prefer rather not to“ aus dem Weg gegangen wäre: Diedrich Diederichsen und Christoph Schlingensief standen gemeinsam auf der Bühne des Kölner Schauspielhauses und sollten sich unterhalten. Es war ein kurzfristig eingeschobenes Intermezzo beim „Kraft der Negation“-Kongress, den Diederichsen kuratiert hatte und der Teil des großen Festivals Theater der Welt war, das Schlingensief gerade mit seinem „Tötet Möllemann“-Aufruf in die Schlagzeilen gebracht hatte. Diederichsen: „Warum Möllemann?“ – Schlingensief: „Es simuliert mir jemand einen Geist, der nicht die Person ausmacht. Aber warum treffe ich nicht den richtigen Geist? Beim Einbiegen in die Straße, wo Möllemanns Firma ist, dort spukt es. Dieses Spuken ist noch lange nicht im Bewusstsein aller.“ – Diederichsen: „Verstehe.“ – Schlingensief: „Ist das hier ’ne Bühne?“ – Diederichsen: „Klar erkennbar eine Bühne.“
Im Grunde hatte das Gespräch einige zentrale Elemente, die Diedrichsen in seinem Eingangsvortrag als Themen des Kongresses umschrieben hatte: bestimmte Negation, Kommuniktionsverweigerung, Kunst-und-Politik-Überblendung, Ich-will-so-nicht-leben-Geste – und doch lässt es einen unbefriedigt zurück. Man kratzte sich am Kopf und wartete, wie es weitergeht.
Es war jenes Bartleby-Zitat, mit dem Diederichsen seinen Vortrag eingeleitet hatte und das sich auch als Thema durch die ganze Veranstaltung zog. Die Negation, so Diederichsen, sei eine der zentralen transgressiven Gesten der Kunst des vergangenen Jahrhunderts und ziehe sich durch die ästhetische Praxis vieler künstlerischen Avantgarden: sei es in Form einer adornitischen Negation eines Inhalts, die zum Formprinzip wird, oder als aggressiv-destruktive Negation der Kunst als solcher. Doch ausgerechnet heute, wo die Negation in der radikalen Politik – etwa der Globalisierungsgegner – eine Renaissance erlebe, wo Politik nicht mehr im Namen von etwas gemacht wird, sondern vor allem aus der Haltung des „Ich will so nicht leben“ entstehe, sei sie in der Kunst auf dem Rückzug.
Darum sollte sich der Kongress drehen, eine Veranstaltung, die nach dem Modell der „thematischen Wochenenden“ der Berliner Volksbühne organisiert war, die sich ihrerseits auch beteiligt hatte: Die Mehrzahl der Diskussionen, Konzerte und Installationen fand erst in Köln statt und wanderte dann nach Berlin. Keine einfache Vorgabe. Wie kann man Positionen zur Negation formulieren?
Da gab es das Modell Linksradikales-Multimedia-WG-Küchen-Gespräch, wie es die Gruppe „Jeder Mensch ist ein Experte“ verkörperte: Drei junge Leute aus Deutschland und den USA sitzen um einen Tisch herum und unterhalten sich über Genua, Seattle, die kalifornische Gewerkschaftsbewegung und über die berühmte Frage „Was tun?“, während einer der drei mit der linken Hand ein Laptop bedient, das dazugehörige Bilder an eine Leinwand wirft.
Oder es gab das Modell „Jugend forscht zur Geschichte des Anarchismus“, wie es der Verein für Zukunft repräsentierte: In einem Bühnenbild, das aus umgenähten Deutschlandfahnen bestand, die nur noch das Schwarz zeigten, wurde die Geschichte des Anarchisten Fritz Benner mit Bakuninzitaten, Berichten über die anarchistische Bewegung im Griechenland der Siebziger und über die Stadtteilorganisation in Buenos Aires der Gegenwart gegengeschnitten.
Das war gelehrt und gut gemacht, aber eben auch ziemlich ratlos: Natürlich ist keine Negation denkbar, die reiner wäre als die anarchistische – aber wenn die Theorie des Anarchismus nur die Theorie einer bestimmten Praxis sein kann, reicht es dann, diese Einsicht als Zitat in die Präsentation einzubauen? Hat es nicht etwas unfreiwillig Komisches auf der Bühne eines Stadttheaters zu rufen: „Die beste Schulstunde ist der Bau einer Barrikade?“ Und wenn es freiwillig komisch ist, wie sieht dann die Theorie zu dieser Praxis aus?
Und zu guter Letzt war da noch Theodor W. Adorno und die Aufzeichnung einer Fernsehdiskussion aus dem Jahre 1968 über Beckett und die künstlerische Negation, die auf einem Fernseher in einer Endlosschleife lief. Fünf Intellektuelle, die rauchen wie die Schlote, sich gegenseitig Baudelaire- und Karl-Kraus-Zitate an den Kopf werfen. Aber hier kommunizierte sich vor allem die historische Distanz. Hallo!, rief einem der Fernseher zu, nach dieser Sendung kann man eigentlich nicht mehr über Negation sprechen, und diese Sendung ist 34 Jahre alt.
Das Ensemble Zeitkratzer aus Berlin hätte aber wahrscheinlich auch Adorno gefallen. Es führte die verschiedensten negativen Musiken mit Orchester auf: Terre Thaemlitz und Throbbing Gristle, Helmut Lachenmann und Death Metal. In einer bestimmten Art war das zwar überhaupt nicht negativ – eher die Musik einer Combo, die es wirklich gut drauf hat, für ein Publikum, das es auch wirklich gut drauf hat –, trotzdem funktionierte es. Wenn sie etwa bei der Aufführung eines Teils aus Lou Reeds „Metal Machine Music“ – im Original eine amphetamingetriebene Störgeräuschorgie, ein Feedbackbrummen – mit einer Tuba nachspielten, dann war das so nah an der Idee der Negation der Negation, die nicht zu einer Position wird, wie man dieser Idee nur kommen kann. TOBIAS RAPP
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