Eine solide Mischung aus Zweckmäßigkeit und Zauber

Ein doppelter Moment der Unachtsamkeit besiegelt beim 0:2 im WM-Finale das Schicksal einer erstaunlich starken deutschen Mannschaft gegen Brasilien. Ronaldo trifft zweimal

YOKOHAMA taz ■ Dem Moment, in dem sich das große Finale entschied, dieser Kampf der Giganten, wie das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea allseits genannt wurde, wohnte nichts Zauberhaftes inne, kein bisschen. Es war kein großer Augenblick, kein von Genie umwehter, sondern er bestand aus Fehlern, einfachen, aber bitteren Fehlern. Der dieses Finale von Yokohama entscheidende Moment war die 67. Minute, und in ihr verlor zunächst der deutsche Spieler Didi Hamann den Ball ziemlich leichtsinnig an den Brasilianer Ronaldo. Gleich im Anschluss daran zog Ronaldos Kollege Rivaldo aus nicht ganz 20 Metern ab. Kein Ball, wie ihn Oliver Kahn, der weltbeste Torhüter, nicht würde halten können. Doch den Schuss von Rivaldo hielt er nicht, nicht richtig zumindest, der Ball klatschte nur ab. Ronaldo kam dem nachsetzenden Kahn zuvor und staubte zum 1:0 für Brasilien ab.

Im Prinzip war das Finale da entschieden. Dass Ronaldo 13 Minuten später auch noch den zweiten Treffer für Brasilien markierte und mit acht Toren Torschützenkönig dieser WM wurde, war jedenfalls nicht mehr so wichtig.

Brasilien ist also Weltmeister, zum fünften Mal und natürlich verdientermaßen. Das ist nichts Überraschendes, sondern nur die logische Folge von dem, was die Seleçao in diesem verrückten Turnier gezeigt hat: eine solide Mischung aus Zweckmäßigkeit und Zauber. Für Verwunderung sorgte gestern eher das Gegenüber, die deutsche Mannschaft, die von vielen im Vorfeld dieses Finales nur als letztes Opfer der Südamerikaner gesehen worden war – und die sich nun als ebenbürtiger Gegner zeigte. Mehr noch: Die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes spielte eine hinreißende Partie. Sie war gut organisiert in der Defensive, die von Carsten Ramelow wie schon im Halbfinale umsichtig dirigiert wurde, glänzend geführt von Didi Hamann, der sich während des gesamten Turniers als großer Stratege präsentierte, und sie hatte sogar sehenswerte spielerische Momente, vor allem wenn der Ball über Bernd Schneider, der den gesperrten Michael Ballack als Kreativkraft im Mittelfeld mehr als vertrat, lief, was eigentlich ständig und immer der Fall war. Der Leverkusener, den sie im Verein „Schnicks, der Brasilianer“ rufen, machte diesem Namen ausgerechnet gegen Brasilien nicht nur alle Ehre, sondern lieferte das Spiel seines Lebens. Und hätte man ihm ein gelbes Hemdchen übergestreift, er wäre auch auf der anderen Seite aufgefallen. „Wir haben die über weite Strecken ganz gut im Griff gehabt“, analysierte anschließend Rudi Völler, der deutsche Teamchef. „Wir hatten die am Rande der Niederlage und es nur versäumt, das Tor zu machen“, fand gar der junge Christoph Metzelder.

Natürlich hatte auch die Brasilianer ihre Chancen, das ist nie zu verhindern, wenn die Spieler vorne Ronaldo heißen und Rivaldo und Ronaldinho. Da blitzt fußballerischer Geist und auch Genie von ganz alleine auf. Und doch kam es vor allem in der ersten Halbzeit nur selten dazu, zu selten jedenfalls, um von echter Überlegenheit sprechen zu können. Und so wurde auf der Pressetribüne ob der eher verhaltenen Spielweise der Brasilianer noch zur Halbzeitpause emsig die Frage erörtert, ob es sich dabei einfach um unendliche Selbstsicherheit oder doch schon um Arroganz handele. Im Falle einer Niederlage wäre es Arroganz gewesen. Am Ende war es doch Selbstsicherheit.

Selbstsicherheit, geboren aus zwei Fehlern des Gegners. Ausgerechnet Hamann. Und ausgerechnet Oliver Kahn, der mit Abstand weltbeste Torhüter, der Deutschland mit seinen wundersamen Paraden doch erst in dieses Endspiel gerettet hatte. Noch ein paar Tage vor dem Finale hatte der 33-Jährige gesagt: „Natürlich habe ich Ängste. Der Grat zwischen Versager und Held ist nirgendwo schmaler als beim Torwart.“ Am Sonntag sind seine schlimmsten Ängste Wirklichkeit geworden, und er sagte: „Es war der einzige Fehler, den ich in den sieben Spielen dieser WM gemacht habe, und er ist bitter bestraft worden. Dafür gibt es keinen Trost.“ Und auch keine Entschuldigung oder gar Erklärung, jedenfalls nicht von Kahn für Kahn. Ob vielleicht der Bänderriss im Ringfinger der rechten Hand, den Kahn sich in einer Szene zuvor zugezogen hatte, daran Schuld gewesen sei, dass er den alles entscheidenden Ball nicht habe festhalten können, wurde Oliver Kahn gefragt. Kahn schaute auf den Verband an seiner Hand, dann antwortete er: „Nein, das glaube ich nicht, dass es damit etwas zu tun hat.“ Seine ganze Mimik sagte dabei anderes. FRANK KETTERER