Pleitestadt zieht vor Gerichte

Die Opposition will das Berliner Verfassungsgericht anrufen, um den Landeshaushalt zu stoppen. Der Senat geht gleich eine Stufe höher. PDS-Chef Liebich kündigt eine Klage in Karlsruhe an

von ROBIN ALEXANDER

Die Berliner Landesregierung wird nach der Bundestagswahl Klage auf Feststellung einer Haushaltsnotlage einreichen. Der Landesvorsitzende der PDS, Stefan Liebich, erklärte gestern: „Es ist definitiv, dass der SPD/PDS-Senat klagt. Ich werde jetzt aber keinen Termin festlegen, wann wir klagen. Ich denke aber, dass die Bundestagswahl dann vorbei ist.“ Diese Äußerung entschlüpfte dem 29-jährigen Politiker auf einer Pressekonferenz des Bundesparteivorstandes – quasi nebenbei. Eigentlich wollte Liebich nur über eine Konferenz am Wochenende informieren, machte auf Nachfrage eines Journalisten jedoch die zitierte Äußerung. „Es ging mir vor allem darum, festzuhalten, dass wir nicht vor der Bundestagwahl klagen“, erklärte Liebich der taz. Aber: „Ich stehe hundertprozentig zu dieser Äußerung.“

Bisher hatten sich alle Mitglieder des Senates und die führenden Politiker von SPD und PDS an eine Sprachregelung gehalten, die sich an der Formulierung des rot-roten Koalitionsvertrages orientiert. Dort heißt es, nur für den Fall eines Scheiterns von Gesprächen mit dem Bund „behält sich der Senat vor, zu prüfen, ob und wann die Voraussetzungen für Art. 107 Abs. 2 des Grundgesetztes vorliegen, und ggf. das Bundesverfassungsgericht anzurufen“. Artikel 107 betrifft die so genannte Haushaltsnotlage.

Bedeutet Liebichs Klartext also, der Senat hat die Hoffnung aufgegeben, nach eigenen Sparanstrengungen im Konsens mit der Bundesregierung Hilfen vereinbaren zu können? Nein, sagt Sprecher Michael Donnermeyer: „Die Haltung des Senats ist unverändert: Erst nach eigenen Konsolidierungserfolgen können wir auf Bundeshilfe hoffen. Eine Klage behalten wir uns vor, über das Ob und Wann gibt es noch keine Entscheidung.“ Zu Liebich erklärte Donnermeyer: „Es hat Tradition in Berlin, zu früh nach dem Bund zu rufen.“

Die Feststellung einer Haushaltsnotlage durch das Bundesverfassungsgericht steht nur indirekt in Zusammenhang mit der Frage, ob der Ende vergangener Woche beschlossene Doppelhaushalt für die Jahre 2002 und 2003 verfassungskonform ist. Gestern untermauerten CDU, FDP und Grüne ihre Ansicht mit einem Rechtsgutachten. Prof. Michael Kloepfer von der Humboldt-Universität stellt in diesem fest, das betreffende Gesetz sei „formell und materiell“ verfassungswidrig. Im Kern geht es darum: Die Summe aller Investitionen darf nicht geringer sein als die komplette Kreditsumme. In früheren Fällen hatten Länder argumentiert, es sei nicht eindeutig, welche Ausgaben man zu den Investitionen rechnen dürfe. Zumindest für 2002 stellt sich diese Frage in Berlin nicht, denn die Neuverschuldung überschreitet die Kreditsumme überdeutlich – um 4,3 Mrd. Euro.

Auch Thilo Sarrazin hatte am Freitag gegen Ende der Etatdebatte die für einen Finanzsenator bemerkenswerte Feststellung getroffen, der Haushalt sei „natürlich nicht mit der Verfassungsbestimmung in Übereinstimmung“, und auf Nachfrage noch einmal ausdrücklich bekräftigt, der Haushalt sei „objektiv rechtswidrig“. Der Regierende Bürgermeister sah sich daraufhin gezwungen, selbst vor das Parlament zu treten und mit Verweis auf ein „gestörtes gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ die Verfassungskonformität des Haushalts zu behaupten. Der entsprechende Artikel in der Berliner Landesverfassung (87) definiert eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes“ nicht, wohl aber der entsprechende Artikel des Grundgesetztes (115). Dieser – keynesianisch inspirierte – Artikel erlaubt es einer Regierung, über eine Ausweitung des Budgets konjunkturstützende Politik zu betreiben. Mit der Berliner Situation einer strukturellen Finanzkrise hat dies eigentlich nichts zu tun.

Die Oppositionsfraktionen kündigten auf Grundlage des vorgestellten Gutachtens Klage vor dem Landesverfassungsgericht an. Vorher muss allerdings noch Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) prüfen, ob er wegen Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit das Gesetz zu einer dritten Lesung zurück ins Abgeordnetenhaus schickt. Am Ende könnten die scheinbar gegensätzlichen Bemühungen von Senat und Opposition doch noch gemeinsamen Erfolg für Berlin bringen. Gutachter Kloepfer: „Die Feststellung des Berliner Verfassungsgerichts, der Haushalt ist nicht verfassungsmäßig, wäre in Karlsruhe sicherlich hilfreich.“