Mittelstand mit Subholding

Nach Zweifeln an ihrer Finanzstärke kontert die Verlagsgruppe Holtzbrinck mit einer Interview-Offensive. Und liefert unfreiwillig einen Vorgeschmack auf die künftige publizistische Vielfalt

von STEFFEN GRIMBERG

Warum denn so bescheiden? „Das Gespräch führte Bernd Zisemer, Handelsblatt“, stand gestern im Berliner Tagesspiegel unter einem Interview mit Stephan von Holtzbrinck. Bernd Ziesemer ist schließlich nicht irgendwer, sondern immerhin Chefredakteur von Deutschlands auflagenstärkstem Wirtschaftsblatt. Und Stephan von Holtzbrinck immerhin der Chef eines der größten deutschen Medienkonzerne.

Das Handelsblatt brachte ebenjenes Interview übrigens auch, wortwörtlich gleichlautend bis auf die Überschrift. „Die Redaktionen von Der Tagesspiegel, Berlin, und Handelsblatt, Düsseldorf, kooperieren“, belehrt über diesen Zusammenhang das Tagesspiegel-Impressum. Denn beide Titel gehören – der Verlagsgruppe Holtzbrinck.

Seit gestern steht nun offiziell auch die Berliner Zeitung mit im Holtzbrinck-Stall – zumindest solange das Kartellamt keine unüberbrückbaren Einwände erhebt. Für einen Spross der Gründerfamilie reichte es bei der bisher direkten Konkurrenz des Tagesspiegels zwar nicht. Dafür ließ sich der für das Zeitungsgeschäft zuständige Holtzbrinck-Geschäftsführer Michael Grabner über die künftigen Strategien des Konzerns aus. – Drei Blätter, zwei Gedanken. Und ein Vorgeschmack auf die künftigen Synergien im plötzlich recht übersichtlichen Berliner Zeitungsmarkt.

Viel Interview tat Not: Schließlich galt es, einem gewichtigen Gegner zu kontern: Der aktuelle Spiegel zitierte genüsslich aus „internen Unterlagen“, die den Weg in seine Redaktion gefunden hatten. Diesmal handelten sie von der in diesen Tagen en gros an- und verkaufenden (siehe Kasten) Verlagsgruppe Holtzbrinck. Tenor: Das „schwäbische Familienunternehmen“ ist finanziell längst nicht so solide aufgestellt wie angenommen.

Ein solches „Dokument des Grauens“ (Spiegel-Titel) will natürlich umgehend beantwortet sein. Und so lesen sich Fragen wie Antworten in Handelsblatt und Tagesspiegel wie ein nie stattgefundenes, weil viel zu freundliches Spiegel-Gespräch. Zitierte das Magazin die Holtzbrinck’sche Selbsteinschätzung, „man brauche ‚erhebliche Finanzmittel‘, die ‚aus der derzeitigen Sicht […] nicht über den Cashflow bzw. zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert werden können‘“, fragt das Interview brav: „Können Sie aus Ihrem Cashflow noch alles finanzieren, was Sie vorhaben?“ Die Antwort ist so schlicht wie schön – und vermeidet in guter Holtzbrinck-Tradition jegliche konkrete Zahlenangaben: „Sicherlich übersteigen unsere Fantasien und die sich anbietenden Chancen die Möglichkeiten eines mittelständischen Familienunternehmens“, sagt da Stephan von Holtzbrinck: „Anderseits sind wir kreativ, flexibel und solide genug, um auf Ebene unserer Holdings oder Subholdings alle Möglichkeiten der Finanzierung weiteren Wachstums anzugehen.“ – Da habe wohl der Chefredakteur dem Konzernchef die Stichworte reingereicht, und der habe gesagt, was ihm Zeitungschef Grabner aufgeschrieben habe, lästert ein Holtzbrinck-Mitarbeiter.

Das Interview in der Berliner Zeitung, offenbar vor der Spiegel-Affäre geführt und nur spärlich aktualisiert, ließt sich dagegen über weite Strecken wie Aufklärung, auch wenn allzu konkrete Fragen nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Hauses Holtzbrinck vermieden wurden. Dafür sorgt man sich – verständlicherweise – um die eigene Position, jetzt, nachdem die Konkurrentin zur Schwester wurde. Doch Grabner bleibt bei seiner schon aus der Vorwoche bekannten Linie: Keine Pläne zur Neupositionierung. „Die Leser kaufen Zeitungen, weil sie eine bestimmte Meinungsrichtung haben wollen. Das nennt man Leser-Blatt-Bindung“, so Holtzbrincks Zeitungsmann: „Die einen wollen die Welt durch die Brille des Tagesspiegels, die anderen durch die Brille […] der Berliner Zeitung.“ – Und überhaupt: „Die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck führt all ihre Unternehmen getrennt.“ Nur bei Interviews gibt es offenbar schon jetzt Ausnahmen.