Zwischen Brache und Boomtown

Das Niemandsland am Spreeufer zwischen Kreuzberg und Friedrichshain soll revitalisiert werden. Doch während Politiker den auf Kreuzberger Seite geplanten „Cuvry-Hof“ als „Glücksfall“ feiern, kritisiert die Anwohner-Initiative die forcierte Umsetzung

von LARS KLAASSEN

Leer und wüst ist die Schnittstelle des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Die Oberbaumbrücke, lokales Symbol und einzige Verbindung zwischen der Ost- und der Westhälfte, wirkt verloren inmitten der Brachflächen, die das Spreeufer säumen. Doch in wenigen Jahren soll das Niemandsland zur Boomtown werden – prophezeien jedenfalls Investoren und Politiker.

Einen Anfang machte bereits die „Oberbaum-City“. In den frisch renovierten Industriebauten zwischen Stralauer Allee, Warschauer Straße und Stadtbahntrasse tummeln sich neben der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) und Pixelpark die ersten Start-up-Unternehmen. Bald wird direkt nebenan „Universal“ in den alten Eierspeicher am Spreeufer nahe der Oberbaumbrücke einziehen. 500 Mitarbeiter bringt das Plattenlabel von Hamburg mit ins neue Berliner Domizil. Das soll nicht nur der lang ersehnte Startschuss für die Revitalisierung des Quartiers auf der Friedrichshainer Flussseite werden. Auch für das Kreuzberger Ufer werden positive Impulse erwartet.

Leben im Wrangelkiez

Die Wertkonzept GmbH, die den alten Eierspeicher saniert hat, will am gegenüber liegenden Ufer unverzüglich mit einem Neubauprojekt anknüpfen. Für Franz Schulz (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, ist der geplante „Cuvry-Hof“ „ein Glücksfall“. Für das rund 10.000 Quadratmeter große Karree zwischen Spree, Cuvrystraße und Schlesischer Straße liegt ein Bebauungsplan vor, der nach seiner Umsetzung den Wrangelkiez beleben und aufwerten soll. So sehen es zumindest das Bezirksamt, die Senatsverwaltung – und natürlich der Bauträger Wert-Konzept. Die Anwohner-Initiative freut sich zwar, dass der ursprüngliche – heftig umstrittene – Entwurf unter dem Titel „Cuvry-Center“ sich nun endgültig erledigt hat. Doch so ganz glücklich sind die organisierten Anwohner mit der neuesten Entwicklung dennoch nicht.

Auf dem Grundstück sollen zwei rund 150 Meter lange und 30 Meter hohe Gebäuderiegel mit einer Baumasse von rund 49.000 Quadratmetern entstehen. Zwischen den Baukörpern im Kontorhausstil wird sich ein begrünter Hof, eine gläserne Eingangshalle an der Schlesischen Straße und eine Freitreppe zu Spree hin erstrecken. Im Vergleich zum ersten Entwurf wirken die Planungen für den Cuvry-Hof wesentlich luftiger. Das ursprünglich anvisierte Center war aus mehreren Gründen harsch kritisiert worden: Der Bau sei zu klotzig, füge sich nicht in die Umgebung ein und der hohe Anteil an Einzelhandelsflächen gefährde die Geschäfte im umliegenden Kiez. Außerdem führten die vielen geplanten Parkplätze vermutlich zu einem überhöhten Verkehrsaufkommen und einer Überschreitung der zulässigen Emissionswerte.

Kritik der Anwohner

Aus diesen Gründen hatte sich auch Schulz, damals noch Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, gegen das Projekt gestellt, während er die zügige Umsetzung des aktuellen Bebauungsplanes nach Kräften fördert. Doch genau damit stößt er auf die Kritik der Anwohner-Initiative. Günther Rohleder, einer ihrer Sprecher, bringt das Unbehagen auf den Punkt: „Im Großen und Ganzen sind wir mit den Plänen ja einverstanden, aber deren Umsetzung wurde urplötzlich forciert, so dass uns die Möglichkeit der Mitgestaltung genommen wurde.“ Nachdem Bauträger, Bezirk, und Senat sich anfangs gesprächsbereit gezeigt hätten, fühle man sich nun übergangen. War die Dialogbereitschaft nur Fassade?

Suspekte Eile

Die Vorlage für den Bebauungsplan, so Rohleder, sei im September vergangenen Jahres innerhalb von zwei Tagen durch den Bauausschuss gepeitscht worden. Der Anwohner-Initiative erscheint die plötzliche Eile suspekt. Die viel beschworene Bürgerbeteiligung sei nun nicht einmal formal gegeben. Außerdem befürchten die Anwohner, dass einige Teile des Vorhabens jetzt unter den Tisch fallen. „Da wurde einiges in Absichtserklärungen verpackt, die rechtlich nicht bindend sind“, so Rohleder. So wird befürchtet, dass die alte Kastanie auf dem Grundstück dran glauben muss oder dass der geplante Uferweg doch nicht uneingeschränkt öffentlich zugänglich sein wird.

Schulz hingegen sieht keinen Grund zur Besorgnis: „Der öffentliche Uferweg ist fester Bestandteil der Planungen und steht nicht zur Disposition“, versichert der Baustadtrat. Bei der Kastanie hingegen liege der Fall etwas anders. Der nämlich drohe ein bösartiger Pilzbefall. ein unabhängiger Gutachter soll nun klären, ob das „Prachtexemplar“ noch gerettet werden könne. „Mit der geplanten Bebauung hat das überhaupt nichts zu tun“, beteuert Schulz. Auch für die Eile sieht er gute Gründe: Seitdem feststehe, dass Universal den ehemaligen Eierkühlspeicher auf der gegenüber liegenden Spreeseite beziehen wird, gelte es, keine Zeit mehr zu verlieren.

Auf der Kreuzberger Flussseite baut man nun auf Nachzugseffekte, die mit dem Neubauvorhaben zu bedienen sind. „Sowohl zur Köpenicker Straße hin, wo bereits viele IT-Unternehmen und Start-ups sitzen, als auch Richtung Oberbaum-City lässt sich vom künftigen Cuvry-Hof aus ein dynamischer Stadtteil entwickeln, der auch für den Wrangelkiez wichtige Impulse geben kan“, prognostiziert Schulz. Rohleder ist da skeptischer: „Vage Hoffnungen auf den großen Boom haben die Verantwortlichen dazu verleitet, das Projekt übers Knie zu brechen.“