Mehr Fragen als Antworten

Die Grünen in der Pisa-Klemme: Migranten bleiben Schwerpunkt ihrer Politik. Aber Linnert & Co. wollen auch ihre Klientel nicht vergrätzen. Große Anfrage an den Senat

Gedanken an türkische oder russische Schulen lösten Befremden aus

Die Situation nach Pisa ist für die Bremer Grünen kompliziert. Zum einen könnten sie Kapital schlagen aus den ideologischen Graben-Wahlkämpfen, die die große Koalition derzeit ausficht – und sachlich bleiben. Zum anderen müssen auch sie mit Vorschlägen zur Reform des Bremer Bildungswesens ihre Klientel bedienen – und dazu gehören Lehrer und Schüler, die nicht zu vergrätzen sind.

Und so luden die Grünen am Montagabend zum Austausch über ihre Positionen zum Bremer Pisa-Debakel. Zwar ist der grüne Bildungsexperte Dieter Mützelburg im Urlaub, mit seiner Mitarbeiterin Anne Lustig, der Fraktionsvorsitzenden Karoline Linnert und Jan Fries, Bildungsdeputierten und selbst noch Schülern, boten sich dennoch kompetente Gesprächspartner für die Zuhörer: Lehrer, Eltern und Gewerkschafter.

Dabei wurden mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben: Wenn sich in Bremen Türken oder Russen so auffällig in bestimmten Stadtteilen konzentrieren – wie muss das Bildungssystem darauf reagieren? Geht der Kelch weiter an die Stadtentwicklungspolitik, die dafür sorgen müsste, dass billiger Wohnraum in allen Stadtteilen zur Verfügung steht? Sozialpolitikerin Linnert hielt dem entgegen, „dass Menschen keine Margarine seien, die man gleichmäßig über die Stadt streichen kann“. Der Vorschlag eines Gastes, man müsste sich vielleicht mit dem Gedanken russischer oder türkischer Schulen anfreunden, löste indes Befremden aus. Eine Schulleiterin aus dem Bremer Westen verwies darauf, dass von den Fördergeldern, die die Bildungsbehörde ausgegeben hat, „am wenigsten bei den Migrantenkindern angekommen sei“. Bildungssenator Willi Lemke (SPD) hat unter anderem deshalb die Fördermittel wieder bei seiner Behörde zusammengefasst und vergibt sie erst auf Antrag. Jan Fries wusste dazu: “Die Mittel sind nicht verschwendet, sondern zur Aufrechterhaltung der Regelschule ausgegeben worden.“ Vertretungsstunden seien aus den Fördermitteln ebenso finanziert worden wie AGs am Nachmittag, auf die Schüler schließlich auch ein Recht hätten. „Ich bin gespannt, was alles zusammenbricht, wenn die Schulen über die Fördermittel nicht mehr frei verfügen können.“ Auch hier lauert für die Grünen eine Falle. Denn Pisa verlangt im Ergebnis eindeutig, dass Schwache gefördert werden. In Bremen ginge das auf Kosten der Ausstattung der besseren Schulen. Wenn Musik- und Theater-AGs wegfallen, könnte das grüne Klientel auf die Barrikaden gehen. „Bisher haben wir gesagt, da muss mehr Geld reingeschossen werden“. Eine Forderung, die nach der Pisa-Erkenntnis, dass Bremen das zweitteuerste Schulsystem hat, nicht leicht aufrechtzuerhalten ist. Einig war man sich in Punkto Testkultur. Nicht Abschlussprüfungen, aber eine regelmäßige Evaluation von Schulen, Lehrern und Schülern wünscht man sich. „Jeder will doch wissen, wo er steht, was er kann“, so Linnert. Allein der GEW-Vertreter betonte, bei den meisten Tests handle es sich um eine Art „Wissens-Bulimie“.

Vermeiden müsse man jetzt neue „Reformfriedhöfe“, betonte Linnert, nicht ohne selbstkritisch anzumerken, dass es die Ampelkoalition ab 1991 war, die dem Bremer Schulsystem neue Wunden beibrachte, indem reine Gymnasien eingeführt wurden und die Gesamtschulen so auf der „besseren Hälfte“ ausbluteten. „Die Leute müssen wieder wissen, was wir für ein Angebot bereithalten“, forderte die Grüne. Ein große Anfrage, die die Grünen an den Senat stellen, soll nun Klarheit schaffen über den Ist- und Soll-Zustand der Bremer Bildungslandschaft. Mit einer Antwort dürfte nicht vor August gerechnet werden. Elke Heyduck