Aids ist auch eine soziale Katastrophe

Neuer Jahresbericht des UN-Aidsprogramms: Aids-Ausbreitung fördert Verarmung und sozialen Zerfall

BERLIN taz ■ Die soziale Struktur großer Teile Afrikas ist infolge der Ausbreitung von Aids im Begriff, sich dauerhaft zu verändern. Am bekanntesten ist das Phänomen, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den am meisten betroffenen Ländern drastisch reduziert – im schwarzafrikanischen Durchschnitt ist sie wegen Aids von 62 auf 47 Jahre gefallen – und daher die Schere zwischen den Ländern mit der höchsten und denen mit der niedrigsten Lebenserwartung immer größer wird. Auch die rasche Zunahme der Anzahl von Waisenkindern ist seit Jahren zu beobachten. Aber die allgemeinen sozioökonomischen Auswirkungen des Aids-bedingten Massensterbens werden erst allmählich deutlich.

Nach Berechnungen von Unaids im neuesten Jahresbericht senkt eine 20-prozentige Infektionsrate unter der erwachsenen Bevölkerung das jährliche Wirtschaftswachstum langfristig um 2,6 Prozent. Südafrikas Wirtschaft wird 2010 um 17 Prozent kleiner sein, als das ohne Aids der Fall wäre. Bis zum Jahr 2005 wird Südafrika 11 Prozent seiner arbeitsfähigen Bevölkerung an die Krankheit verloren haben, Botswana 18 Prozent und Simbabwe 20 Prozent. Bis zum Jahr 2020 sollen diese Anteile in Südafrika 26 Prozent erreichen, in Simbabwe 29 Prozent und in Botswana 31 Prozent. Das ist nur mit den Folgen eines Völkermords vergleichbar.

Damit einher geht ein beispielloser Zerfall der sozialen Strukturen, der Millionen von Menschen ins absolute Elend stürzt. In Sambia, so UN-Aids, haben sich 65 Prozent all jener Haushalte, in denen die Mutter an Aids gestorben ist, aufgelöst. In zwei Dritteln all jener Haushalte, in denen der Vater wegen Aids tot ist, sank das verfügbare Haushaltseinkommen um über 80 Prozent. Nicht nur die Arbeitskraft der Infizierten und Kranken geht verloren, sondern auch die der Angehörigen, die für die Pflege zuständig sind. Die betroffenen Familien müssen oft ihre Kinder von der Schule nehmen, um Kranke zu pflegen, und verlieren damit langfristig Chancen auf den sozialen Aufstieg.

In einer Region Thailands haben 41 Prozent der von Aids betroffenen Haushalte Land verkauft, um Pflegekosten zu decken, 57 Prozent haben ihre Ersparnisse aufgebraucht und 24 Prozent Schulden aufgenommen. In der Elfenbeinküste ist das Einkommen von Haushalten mit Aidsinfizierten nur halb so hoch wie das von Haushalten ohne Aids.

Programme zur Armutsbekämpfung, Rückgrat der gegenwärtigen Entwicklungspolitik der internationalen Geldgeber, sind unter solchen Umständen automatisch zum Scheitern verurteilt. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit hat darauf bislang nach UN-Aids-Einschätzung nicht angemessen reagiert. Die Entwicklungshilfe für die 28 Länder mit den höchsten HIV-Infektionsraten (über vier Prozent) sei seit 1990 um ein Drittel gesunken, kritisiert der Bericht. Besser gehen die Regierungen von Burkina Faso und Uganda mit diesem Problem um: Burkina Faso hat einen Teil des eingesparten Schuldendienstes, den die Schuldenerlassprogramme gebracht haben, in die Aidsprävention gesteckt, während Hilfe für von Aids betroffene Haushalte auf lokaler Ebene zentrales Element der Armutsbekämpfungsprogramme in Uganda ist. DOMINIC JOHNSON