Wie Zigaretten „drüben“ schmecken

Begegnungen in einem der letzten Biotope Kalter Krieger: Chan-Wook Parks „Joint Security Area“ überfliegt die Grenze zwischen Nord- und Südkorea, torpediert Entertainment-Erwartungen und lässt dabei kaum ein Genre aus

Vor zehn Jahren gehörten eingeblendete Orts- und Zeitangaben zum Verfahren jedes Actionreißers. „Geheimes US-Militärcamp. Mojave-Wüste. 29.12.1999, 08:15“, tickerte es über die Leinwand, in der digitalen Type eines Radioweckers. Der dramaturgische Gegenpol: „Kongodelta. 08:21“ oder „Karakusch-Pass. 08:27“ oder gar „Andromeda-Nebel. 47:11“. Das Gut-Böse-Kino hatte seine Legende aus dem ideologischen Raster des Kalten Krieges verschoben auf Gemeinplätze. Internationale Waffenschieber, Internationale Drogendealer oder Supranationale Schleimmonster muss man einfach Scheiße finden, deshalb immer feste druff, Herr Willis.

Leicht altertümlich in Stil und Thema wirken daher die Sequenzunterschriften zu Beginn von Joint Security Area. Die titelgebende gemeinsame Sicherheitszone, erfahren wir, verläuft zwischen Nord- und Südkorea. Sie steht unter Aufsicht neutraler Nationen wie der Schweiz und Schweden und bildet eines der letzten Biotope Kalter Krieger. Entgegen aller Familienzusammenführungen und der südkoreanischen „Sonnenscheinpolitik“ wird hier unnachgiebig militärische Macht demonstriert. Am kleinen Zwischenfall kann sich die Katastrophe entzünden.

Und es kommt zu solchem Zwischenfall. Auf nordkoreanischer Seite sind zwei Soldaten erschossen worden, und jenseits der Grenze behauptet ein südkoreanischer Offizier, sich nach seiner Entführung befreit und in die Heimat durchgeballert zu haben. Die Generalität beider Staaten scharrt nervös mit den Hufen, eine junge Schweizerin koreanischer Abstammung (sehr hübsch) soll das Ereignis untersuchen. Und während wir noch überlegen, wie wohl die Liebesgeschichte zwischen Leutnant Sophie Jean und ihrem schwedischen Kollegen (sehr blond) verlaufen wird, schlägt der vermeintliche Actionreißer Joint Security Area Purzelbäume.

Fast wie in Akira Kurosawas berühmtem Rashomon nämlich enthüllen sich dem scharfen Verstand der Eidgenossin immer neue Versionen des Tathergangs, und es dauert lange, bis sie alle Erkenntnisse zusammengepuzzelt hat zur einsamen Wahrheit. Währenddessen wechselt Regisseur Chan-Wook Park ein paar mal lustig das Genre. Heißt uns anfänglich eine Schleiereule horribel willkommen, streift der Streifen bald den Krimi, bedient sich später ausgiebig beim komödiantischen buddy picture, auch bei der Satire und endet melodramatisch. Der Grundton des Filmes aber bleibt märchenhaft und treibt die Geschichte einer großen Männerfreundschaft hart an die Kitschgrenze, hierin John Woos Leitmotiven ähnlich.

Denn der eigentlich wichtige Zwischenfall findet außerhalb der Vorstellungskraft koreanischer Obrigkeiten statt. Da bringen ein paar Soldaten keinen Kadavergehorsam auf, sondern Mut zur Neugier. Wie wohl Zigaretten auf der anderen Seite der Grenze schmecken? Und stimmt es, dass sich drüben halbnackerte Mädchen in der Zeitung räkeln? Und womit eigentlich fängt die Verletzung nationaler Gebietsansprüche an? Wenn ein Menschenschatten über die Staatengrenze reicht? Oder wenn man mal eben über die Demarkationslinie rotzt?

In seinen stärksten Momente stichelt der Film mit kleinen Gesten in der ideologischen Hartleibigkeit herum, die eine Annäherung beider Koreas blockiert – und entlässt ihr gerade so viel heiße Luft, dass die Lächerlichkeit der aufwendig konservierten Gegnerschaft ersichtlich wird. In die Ecke des Politfilms lässt sich Joint Security Area dennoch nicht drängen. Clever tippt Park hier jede gängige Entertainment-Erwartung an, ohne sich je auf ihre Erfüllung einzulassen. So macht Unterhaltungskino Spaß. Urs Richter

täglich diese und nächste Woche, 22.30 Uhr, 3001