Immer weiter

Jessica Goldbergs Theaterstück „Fluchtpunkt“, inszeniert von Ragna Kirck beim Festival „Die Wüste lebt!“

Aus dem Fluchtpunkt, hat man ihn erst einmal erreicht, scheint es kein Entkommen mehr zu geben. In Jessica Goldbergs gleichnamigem Theaterstück kristallisiert sich der Fluchtpunkt erst im Verlauf der Handlung heraus. Ausgangssituation ist die Hausgemeinschaft dreier von ihren Eltern allein gelassener Geschwister. In Ragna Kircks Inszenierung für „Die Wüste lebt!“ ist dies eine schematische Welt: ein Wohnungsplan an der Wand und auf dem Boden aufgezeichnete Markierungen für das Mobiliar. Eine Welt, die von jedem kleineren Sturm zerstört werden könnte.

Die Beziehungen der Protagonisten in Goldbergs Stück stehen für Kirck im Vordergrund: „Ich fokussiere meine Inszenierung auf die Figuren und ihr Nebeneinander in der Nicht-Kommunikation, sie werden durch die Abwesenheit eines realistischen Raums ausgestellt“, sagt sie. Die drei Schwestern Amy, Nat und Becca (Rebecca Kirchmann, Franziska Rieck, Hülya Karahan) fallen mit leeren, glasigen Blicken übereinander her, nerven einander und versuchen ihrer Situation – allzu bekannte – Perspektiven abzugewinnen: Rave, Drogen, Religion.

Diese nicht sonderlich heile Welt wird von Sam (Christian Oliveira) „erleuchtet“. Amy hat ihn –irgendwo – kennengelernt, und sie lieben sich – irgendwie. Mit einem Mal gerät Bewegung in die Geschichte. Hoffnung? Nein. Dafür sind Udo Herbsters Bühne und Kostüme zu gut auf die Inszenierung abgestimmt: Das Wohnungsschema ist zu starr, ein Platz für Sam darin nicht vorgesehen; und das Hin- und Hergeschiebe der Kulissenteile ist nur ein Ersatz für innere Bewegung. Im Weiteren spiegelt sich die Aufbruchstimmung im Haus in den bunter werdenden Kleidern der drei Schwestern wider, während sich die Lebensroutine – Streit, Sex, Arbeitsuche, Pilleneinwerfen, Frust, Krankheit – von allein einstellen. Mit schnellen Schnitten lässt Regisseurin Ragna Kirck die HausbewohnerInnen die Härte des Lebens spüren.

Trotzdem lässt sie ihrem Ensemble auch Raum für stille Standbilder oder den Nachklang des Textes. Die Krake Leben zieht ihre Fangarme zu, als Sam und Amy heiraten: Familie als Fluchtpunkt: „Wir werden weitermachen, weil wir eine Familie sind.“ Eine düstere Drohung. Hätte man die Schwestern vorher gefragt, ob es das ist, was sie sich wünschen – sie hätten sicher verneint. In Fluchtpunkt laufen alle Linien ausweg- und perspektivlos zusammen. In der letzten Szene tragen alle schwarzweiß.

Christian T. Schön